Wellness-Beiträge



Licht auf Wellness - Megatrend des neuen Jahrhunderts

von Lutz Hertel, Vorsitzender des Deutschen Wellness Verbands

Kaum ein anderer Neoanglizismus hat in Deutschland – insbesondere im Gesundheitswesen - zu so kontroversen Reaktionen wie der Begriff "Wellness" geführt. Obwohl er bereits vor über zehn Jahren Einzug in unseren Wortschatz hielt, erlebt er nun zu Beginn des 21. Jahrtausends einen wahren Boom – mit all seinen positiven wie negativen Begleiterscheinungen. Da weder die Kritiker, noch die Befürworter eine klare Vorstellung von seiner sinngemäßen Bedeutung und Umsetzung zu haben scheinen, soll im folgenden Licht auf Wellness geworfen werden.



  1. Einleitung
  2. Begriffserklärung
  3. Wurzeln der Wellness-Bewegung
  4. Vergleich mit anderen Gesundheitskonzepten
  5. Hauptfaktoren des Wellness-Modells
  6. Markt und Trends in Deutschland



1. Einleitung

Kaum ein anderer Neoanglizismus hat in Deutschland – insbesondere im Gesundheitswesen - zu so kontroversen Reaktionen wie der Begriff "Wellness" geführt. Obwohl er bereits vor über zehn Jahren Einzug in unseren Wortschatz hielt, erlebt er nun zu Beginn des 21. Jahrtausends einen wahren Boom – mit all seinen positiven wie negativen Begleiterscheinungen. Da weder die Kritiker, noch die Befürworter eine klare Vorstellung von seiner sinngemäßen Bedeutung und Umsetzung zu haben scheinen, soll im folgenden Licht auf Wellness geworfen werden.


2. Begriffserklärung

Der Begriff Wellness leitet sich nicht, wie fälschlicherweise behauptet, von einer Wortneuschöpfung, zusammengesetzt aus den Begriffen "well-being" (Wohlbefinden) und "fitness" (körperliche Leistungsfährigkeit), her. Er wurde auch nicht in einer Werbeagentur kreiert oder gar markenrechtlich geschützt. Die Wurzeln dieses Wortes reichen laut Oxford English Dictionary bis ins 17. Jahrhundert und lassen sich dort erstmals mit einer Monographie aus dem Jahre 1654 dokumentieren ("I ... blessed God ... for my daughter´s wealnesse"). Das Oxford English Dictionary erklärt den Begriff als "Zustand des Wohlbefindens oder der guten Gesundheit".

Für eine Verwendung im heutigen Bereich der professionellen Gesundheitsförderung empfiehlt sich eine geringfügige, aber essenzielle Veränderung der Definition:

Wellness bezeichnet einen aktiven Prozess von guter Gesundheit und Wohlbefinden.

Auf eine knappe, umgangssprachliche Formel gebracht, läßt sich Wellness dann als "gesund leben und sich wohl dabei fühlen" oder "genussvoll gesund leben" umschreiben. Diese eingängliche Formel ermöglicht die dringend notwendige Klärung, welche Aktivitäten, Maßnahmen, Dienstleistungen und Produkte berechtigter Weise mit dem Begriff Wellness in Verbindung gebracht werden können.

Zunächst bedarf es (gesundheitswissenschaftlich) gesicherter und auch für Laien verständlicher Aussagen zu den empfehlenswerten Formen gesunder Lebensweise, von denen es nach heutigen Erkenntnissen mehr als nur eine einzige gibt. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, dass eine einzelne Verhaltensweise allein, wie zum Beispiel regelmäßiger Gesundheitssport, noch nicht für eine gesunde Lebensweise hinreicht, sondern vielmehr ein komplexes Muster von Verhaltensweisen und Einstellungen den Lebensstil formen.

Sodann muss eine Überprüfung der mit gesunden Lebensweisen verbundenen subjektiven Wohlbefindens-Prozesse erfolgen. Macht eine unter gesundheitlichen Aspekten empfehlenswerte Lebensweise überhaupt Spaß und wem und wie lange? Auch beim Wohlbefinden handelt es sich um einen vielschichtigen Begriff, der allein unter psychologischen Betrachtungswinkeln mehr als eine Dimension beansprucht (vgl. z.B. Abele und Becker, 1991). Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet zwischen körperlichem, psychischem und sozialem Wohlbefinden. Zahlreiche Verhaltensweisen dienen heute der Steigerung des psychischen und sozialen Wohlbefindens, schädigen aber zugleich - zumindest auf lange Sicht - die körperliche Gesundheit.

Laienverständlich ausgedrückt handelt es sich also um die richtige Mischung aus gesundem Lebensstil und Sichwohlfühlen, was über die vergangenen Jahrzehnte, teilweise sogar Jahrhunderte nicht nur beim Verbraucher als Widerspruch galt. Wer viel Sport trieb, schindete sich. Wer rauchend faule Tage im Bett verbrachte, lebte vielleicht angenehm, aber ziemlich ungesund. Mit dem Begriff Wellness verbindet sich heute die berechtigte Hoffnung, dass der Widerspruch aufzulösen sei, also Gesundheit durchaus vereint mit sinnlichem Genuss erlebbar ist und erlebt werden soll. Diese Verknüpfung bildet den Ausgangspunkt aller professionellen Wellness-Konzepte, steht damit aber auch im Gegensatz zu den traditionellen Betrachtungen des Medizinsystems, wie sie auch heute noch in der Prävention, Kur und Rehabilitation zum Ausdruck kommen. Ein entsprechender Paradigmenwechsel im Medizinsystem, wie ihn Schmid-Neuhaus (1988) gefordert hat, erscheint bei nüchternen Betrachtung trotz zahlreicher politischer Lippenbekenntnisse als illusorisch.Dies mag mit verantwortlich dafür sein, dass Wellness zum Leitgedanken eines zweiten Gesundheitsmarktes avanciert, der sich neben dem etablierten Gesundheitssystem rasant vergrößert.

3. Wurzeln der Wellness-Bewegung

In den 1950er Jahren entwickelte der amerikanische Arzt Dr. Halbert L. Dunn eine alternative Vorstellung praktischer ärztlicher Zielsetzung. Mit seinem daraus abgeleiteten "High-Level-Wellness"-Konzept legte er den Grundstein für die amerikanische Wellness-Bewegung. Ursprünglich handelte es sich nach Dunn´s Konzeption bei Wellness um funktional orientierte Maßnahmen, die zur Steigerung individueller, biologisch und soziologisch eingerahmter Potenziale angewendet werden sollten (Dunn, 1959). Heute würde man das hiermit beschriebene Potenzial als die gesundheitsbezogene Lebensqualität bezeichnen und die mit ihrer Steigerung verbundenen Bemühungen als Gesundheitsförderung im Sinne der WHO-Konzeptionen.

In den 1970er und 1980er Jahren wurde das Konzept "Wellness" von Protagonisten (insbesondere Ardell, Travis, Hettler) eines zum traditionellen, pathogenetisch orientierten Gesundheitssystem komplementären Paradigmas aufgegriffen. Auslöser für die weitreichende Verwertung des Wellness-Konzepts im amerikanischen Gesundheitssystem waren die seit dem Ende der 1970er Jahre verstärkt wachsenden Gesundheits- bzw. Krankheitskosten. Eine von den Centers for Disease Control 1979 veröffentlichte Studie, die auf einer Auswertung epidemiologischer Daten über die Ursachen eines vorzeitigen Todes basierte, belegte die Vorrangstellung des individuellen (gesundheitsbezogenen) Lebensstils als Kausalfaktor. Knapp die Hälfte aller Todesfälle vor dem 65. Lebensjahr gehen auf das Konto des persönlichen Lebensstils. Insbesondere die amerikanische Wirtschaft nutzte dann seit Mitte der 1970er Jahre bis zum heutigen Tag das Wellness-Konzept, um durch datenkontrolliertes und professionell begleitetes Lifestyle-Management ihrer Beschäftigten Kostendämpfung zu betreiben.

Schmid-Neuhaus bescheinigt der Wellness-Bewegung, dass sie dem abstrakten Begriff "Gesundheit" endlich einen unmittelbar verständlichen Charakter verliehen hätte. "Gesundheit wird zu etwas Greifbarem, Erlebnishaften und kommt heraus aus der Ecke, in der bei uns die "Gesundheitsapostel mit Sandalen" die Gesundheit suchen und finden, die aber von "Otto Normalverbraucher" doch ziemlich verschmäht wird (Schmid-Neuhaus, 1988). Vor diesem Hintergrund etablierte sich in den USA der Begriff "Wellness" sowohl in der Anwendung entsprechender Programme, als auch in der akademischen und wissenschaftlichen Diskussion und Forschung.


4. Vergleich mit anderen Gesundheitskonzepten

Wenngleich Wellness in den USA zum gebräuchlichen Synonym für Prävention und Gesundheitsförderung geworden ist, betonen Theoretiker immer wieder die Eigenständigkeit und damit Unterschiedlichkeit dieser Konzepte.

Traditionelles biomedizinisches Behandlungsmodell und Risikofaktorenmodell

Zur Abgrenzung der Handlungskonzepte "Behandlungsmodell" (= Interventionsbereich des traditionellen Medizinsystems) und "Wellnessmodell" konstruierte Travis ein Krankheits-/Wellness-Kontinuum (vgl. Travis und Ryan, 1988). Der Wellness-Ansatz soll das klassische Behandlungsmodell des Medizinsystems (= Patienten wieder gesund machen bzw. schlimmeres verhindern) keinesfalls ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen. In ihm kommt die Mehrdimensionalität des Gesundheitsprozesses sowie dessen Potenzial jenseits der Symptomfreiheit zum Ausdruck. Wellness als Handlungsmodell bedeutet demnach, nicht bei der Symptomfreiheit stehen zu bleiben, sondern durch Reflexion und professionelle Anleitung Schritte hin zu Veränderungen zu wagen, die im komplexen Zusammenhang von inneren und äußeren Faktoren eine Steigerung der Lebensqualität ermöglichen.

Im Gegensatz zum Risikofaktorenmodell findet eine Wellness-Intervention also ihren Zielpunkt nicht in der Vehinderung einer Erkrankung bzw. deren Wiederauftreten oder Verschlimmerung, sondern in einem positiven Kriterium, jenseits von Krankheit und Risiken, das sich für das Inidividuum als spürbares Plus in der physischen, psychischen und sozialen Befindlichkeit manifestiert.

Gesundheitsförderung in der WHO-Tradition

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) legt ein mehrdimensionales Gesundheitsverständnis unter Einbeziehung subjektiver Gesundheitskonzepte und positiver Endpunkte zugrunde (WHO, 1992). So konkret die Zielpunkte für eine gesunde Lebensweise für die Bevölkerung der Industrienationen formuliert sind (siehe "Gesundheit für alle"), so wenig sind sie an die angesprochene Zielgruppen gerichtet. Alle Empfehlungen bewegen sich auf einer Meta-Ebene. Adressaten sind die politischen Regierungsstrukturen der Mitgliedsstaaten, einer ihrer wichtigsten Aufträge die Herstellung von Chancengleichheit für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen.

Das Wellness-Konzept operiert mit seinem Lebensstil-Konzeot "genussvoll gesund leben" dagegen weitgehend auf pragmatischer Anwendungsebene direkt am einzelnen Bürger und könnte insofern den marketingstrategischen Umsetzungsarm von politisch gewollter Gesundheitsförderung im Zusammenspiel von Gesundheits-Dienstleistern und -Verbrauchern liefern. "Es handelt sich um einen Weg, der sich auf das Positive konzentriert und der Spaß machen soll. Die Motivation ergibt sich aus naheliegenden attraktiven, direkt erlebbaren Vorteilen. Der "Wellness-Lebensstil" ist einfach die bessere Art, dieses Leben zu leben. Selbst wenn sich dadurch weder Krankheit verhüten, noch das Leben verlängern ließe, dieser andere Lebensstil würde sich trotzdem lohnen." (Schmid-Neuhaus, 1988).

Gesundheitsförderung im Sinne des Salutogenese-Modells

Das von dem Soziologen Antonovsky entwickelte Modell der Salutogenese betrachtet wie das Wellness-Modell Gesundheit nicht als Zustand, sondern als einen Prozess auf einem Kontinuum. Es richtet gleichfalls die Aufmerksamkeit auf den positiven Endpunkt dieses Kontinuums (was erhält Menschen gesund?). Die von Antonovsky definierten allgemeinen Widerstands-Ressourcen gegen Stress und Krankheit benennen  Kategorien wie körperliche Robustheit, Intelligenz, Problemlösefähigkeit, psychische Stabilität, sozialer Rückhalt oder stabile Kultur. Mit dem Sense of Coherence (SOC) erschafft Antonovsky ein neues psychisches Konstrukt. Die Erfahrungen bis zum frühen Erwachsenenalter prägen ein generalisiertes und stabiles Empfinden von der Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit der Welt und des eigenen Lebens. Ein hohes Maß an SOC soll Menschen - genau so wie die allgemeinen Widerstands-Ressourcen - gegen die schädlichen Einflüsse von Stress schützen.

Insofern stellt das Salutogenese-Modell eine Ressource für das Wellness-Modell dar, denn es enthält Hinweise zur Frage nach einer (protektiven) gesunden Lebensweise. Während Antonovsky mit seinem Modell einen theoretischen Erklärungsansatz liefert, bemüht sich das Wellness-Modell um die praktische Umsetzung durch den Erwerb entsprechender Erfahrungen, Kenntnisse, Fertigkeiten und neuer Lebensgewohheiten.


5. Hauptfaktoren des Wellness-Modells

Resümierend läßt sich zunächst festhalten: Wellness unterscheidet nicht nach Gesunden und Kranken, verkörpert den Komplementärarm zur Risikofaktoren-orientierten Prävention und vollzieht sich auf der Ebene des selbstverantwortlichen Individuums, welches konkrete Anleitung und Unterstützung für einen gesunden Lebensstil erhält. Als motivierende Grundkraft für den Erwerb und die Aufrechterhaltung einer gesunden Lebensweise fungiert die Aussicht auf unmittelbaren Genuss und anhaltende Lebensfreude.

Wohlbefindens-Faktoren

Ein wesentliches Merkmal des Wellness-Modells findet sich in dessen Betonung psychologischer Faktoren und Wirkzusammenhänge. Neben der Einflussnahme auf physiologische Homöostase- und Heterostase-Prozesse, die für das subjektive Wohlbefinden von tragender Bedeutung sind, bilden Methoden der Verhaltenspsychologie (z.B. Ellis, Kanfer) und der humanistischen Psychologie (z.B. Goldstein, Rogers, Maslow) das Gerüst für die Verknüpfung von gesunder Lebensführung und subjektivem Wohlbefinden. Bezogen auf die operationale Ebene wäre demnach zum Beispiel ein Ausdauertraining dann wellnessorientiert, wenn die gewünschten physiologischen Anpassungsprozesse innerviert werden und sich gleichzeitig unmittelbar psycho-physisches Wohlbefinden einstellt.

Für die Mehrheit der Verbraucher lautet die Frage im Kontext körperlicher Anstrengung nicht: "Wie viel ist möglich?", sondern "Wie viel ist nötig?" Die von den medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben Empfehlungen zu Intensität und Dauer von Ausdaueraktivitäten mit dem Ziel der Prävention von Herzkreislauf-Erkrankungen (mindestens drei bis vier Mal in der Woche zwanzig Minuten Daueraktivität mit Schwitzen, Puls- und Atemfrequenzerhöhung) verfehlen in der Regel die Zielgruppen, weil die antizipierten physischen Kosten und der damit verbundene praktische Aufwand von einer Umsetzung abschrecken.

Neuere Untersuchungen belegen jedoch, dass auch mit geringem Aufwand gute gesundheitliche Effekte erzielt werden können. Die Verstoffwechslung von Körperfett mit dem Ziel der Gewichtsreduktion gelingt subjektiv am leichtesten und physiologisch effektivsten bei einem Lauf-Gehtempo von 9 km/h.

Eine international vielbeachtete Untersuchung von Blair und Kollegen (1989) bestätigte, dass bereits leichte regelmäßige Bewegungsaktivitäten wie halbstündige, zügige Spaziergänge einen befriedigend großen gesundheitlichen Effekt ausüben.

Aber selbst dieser Aufwand kann manchen Zielgruppen, z.B. Adipösen in Gewichtsreduktionsprogrammen, noch zu hoch sein. Eine andere Studie von Jakicic (1996) kam zu dem Ergebnis, dass der Erfolg der Gewichtsreduktion bei leichten Trainingseinheiten von 3 x 10 Minuten pro Tag um 40% über dem Ergebnis bei Trainingseinheiten von 1 x 30 Minuten pro Tag liegt. Die Bereitschaft zum täglichen Bewegungstraining war in der Gruppe mit drei kurzen Trainingseinheiten deutlich höher als in der Gruppe mit einer langen Trainingseinheit (87% versus 69% Nutzung aller verfügbaren Trainingstage). In diesem Spannungsfeld zwischen physiologisch begründbarem, empfehlenswerten Verhalten und psychologisch akzeptablen Kosten bewegen sich Wellness-Programme und –Angebote.


Pleasure-Prinzip

Eine damit im Zusammenhang stehende weitere psychologisch begründete Kerncharakteristik des Wellness-Konzeptes ist die Einbeziehung der Faktoren Spaß, Lust und Genuss bei der Entwicklung von Gesundheitsprogrammen und anderen gesundheitsfördernden Angeboten. Leider reduzieren uninformierte Kritiker wie Anwender den Begriff Wellness immer wieder allein auf kommerzialisiertes, passives Verwöhntwerden in Form von Behandlungen oder Anwendungen in luxuriösem Umfeld. Andere Formen gesunder Genüsse werden hingegen kaum oder gar nicht in Betracht gezogen. Ungeachtet dessen ist durch die  Neuropsychoimmunologie und die Neuropsychoendokrinologie inzwischen die Wirkung von positiven Emotionen und Stimulationen auf die physische wie psychische Gesundheit gut begründet. Genuss ist gerade im gesundheitlichen Kontext nicht verwerflich, sondern ausdrücklich zu fordern. In den USA legten Cousins (Anantomy of an Illness, 1979) sowie Ornstein und Sobel (Healthy Pleasures, 1989) wichtige Grundsteine zur Verbreitung des Pleasure-Prinzips. In Deutschland publizierten zum Beispiel Ernst (Gesund ist, was Spaß macht, 1992) und Ohm (Lachen, lieben – länger leben, 1997) zu dieser Thematik.


Sinnfaktoren

Die für den sicht- und messbaren Gesundheitszustand einer Person mitverantwortlichen Verhaltensweisen und Lebensstile sind zwar für gesundheitsfördernde Interventionen in der Regel die vorrangigen Zielebenen, dahinter verbergen sich jedoch weitere Kausalebenen (psychologisch-motivationale, spirituelle), die den Erfolg einer Intervention mitbestimmen und auch selbst Gegenstand von Interventionen darstellen sollten. Die tiefste Kausalebene, der Sinn-Bereich, wurde u.a. von Antonovsky (1987) und Frankl, (1987) als gesundheitlich relevant postuliert. Unter den Wellness-Protagonisten war es neben Travis vor allem Ardell, der die Suche nach dem Sinn des Lebens zur wichtigsten Aufgabe für einen Wellness-Lebensstil erhob. "In wellness, we encourage people to explore and discover satisfying ways to find meaning, purpose, and connection." (Ardell, 1991). Alle wichtigen Wellness-Modelle führen unter den Dimensionen von Gesundheit den spirituellen Aspekt auf, der sich von religiösem Glauben bis Transzendenz erstreckt. Neuere ernstzunehmende Studien gehen der Heil- und Gesundheitskraft von Liebe und Glauben nach (Übersichten unter anderem bei Benson, 1997; Ornish, 1999).


6. Der Wellness-Trend in Deutschland

Ungeachtet der geschilderten wissenschaftlichen Fundierung und Wurzeln im professionellen Gesundheitssystem hat der Begriff Wellness seit den 1990er Jahren in Deutschland eine facettenreiche Eigendynamik entwickelt, die in den meisten Fällen mit seinen ursprünglichen Inhalten wenig oder nichts mehr zu tun hat. Eine vergleichbare Entwicklung hatte es vor gut 20 Jahren bereits in den USA gegeben. Aktivitäten selbsternannter "Fachleute" mit zweifelhafter Qualifizierung und Wellness-Programme, die diesen Namen nicht verdienen, führten einige Jahre lang zu Misstrauen und Distanzierung bei den professionellen Gesundheits-Dienstleistern des etablierten Systems (Petosa, 1984). In Deutschland hat sich diese Problematik noch potenziert. Einerseits sind die etablierten Strukturen unseres Gesundheitssytems wenig visionär und veränderungsbereit, andererseits hat der Missbrauch des Begriffs Wellness erheblich größere Ausmaße erreicht.

Gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse bieten zur Zeit ideale Wachstumsbedingungen für Produkte und Dienste, die unter dem Schlagwort "Wellness" vermarktet werden. Trendforscher wie Popcorn (1991) und Opaschowski (zahlreiche Publikationen zum Thema) haben diese Entwicklung vorhergesagt und sehen sich darin heute mehr als bestätigt. Horx (2000) und Nefiodow (2000) prognostizierten bereits gut begründet einen Wellness-, Psycho- und Beratungsboom ungekannten Ausmaßes: Heiler, Therapeuten, Lebensberater, Lifestyle-Psychologen, Health Coaches und Wellness-Berater werden zu Säulen einer auf psychosoziale Gesundheitsförderung ausgerichteten Megabranche werden. Die gegenwärtig stattfindende tiefgreifende existenzielle Verunsicherung ganzer Bevölkerungsgruppen im In- und Ausland wird diesen Trend mit größter Wahrscheinlichkeit noch weiter verstärken.


© Lutz Hertel 2003

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