Wellness-Trend: Vom Ich zum Wir
Autor: Lutz Hertel, veröffentlicht am 23.02.2024
Während sich in Deutschland der stundenweisen Rückzug in kleine Spa-Module á la MyWellness, MySpa oder WellNest großer Beliebtheit erfreut, trenden in Nordamerika urbane Badehäuser. Hier geht es um das Gegenteil: Eintauchen in die Gefühlswelt stimulierender Gemeinschaftserlebnisse. Einer der Trendtreiber ist das Unternehmen Othership. Sein Kernkonzept: Socialize!
Es ist eine Art Gruppentherapie an Wellness-Orten. Man bietet der Kundschaft ein psychedelisches Community-Gefühl: Schwitzen in der Aufguss-Sauna mit bis zu 100 Personen, gemeinsame Kälteschocks in Eiswasser-Wannen, Group BreathWork, immersive Musikumhüllung. Man kann sich mit den Gleichgesinnten verbinden, gemeinsam sein Wohlbefinden verbessern, und das an einem Ort, der sich durch “offene Empfänglichkeit” beschreibt.
Gemeinsam statt einsam. Die Social Wellness Idee ist nicht neu. Das große Geschäft damit scheint aber erst jetzt richtig zu starten. Ein Business-Konzept, das perfekt auf eine bereits existente und garantiert wachsende Zielgruppe besonders in Großstädten zugeschnitten ist. Nicht nur ältere Menschen vermissen menschliche Nähe. In Deutschland fühlten sich laut einer Studie schon vor zwei Jahren 3,6 Millionen junge Erwachsene zwischen 16 und 23 einsam. In Berlin, wo in jeder zweiten Wohnung ein Single lebt, trat gerade die erste Einsamkeitsbeauftragte ihren Dienst an. Sich verloren fühlende Menschen, die wieder mehr Sinn im Leben finden möchten, werden auch angesichts der multiplen, bedrohlichen Krisen immer mehr. Social Wellness ist das Angebot, in einer Gemeinschaft mittels Wellness-Aktivitäten seine Emotionen zu justieren, wieder zu sich selbst und zu anderen zu finden. Es werden langfristige Mitgliedschaften angeboten. Man kann aber auch Tagestickets zwischen 23 und 32 EUR buchen.
In Deutschland setzen Spa- und Wellness-Betriebe immer noch in erster Linie auf Treatments zur totalen Entspannung, sie verkaufen zurückgezogene “Ich-Zeit” an möglichst exklusiven Locations mit instagrammable Design. Zumindest in den USA hat der Aufbruch in eine andere Richtung begonnen. Das niederländische Unternehmen Sanctum ist einer der ersten europäischen Treiber des kommerziellen Social Wellness Trends. Zitat: "Sanctum, an unmatched moving sequence to empower the body and expand the mind. Designed to unlock human potential by reaching physical edge and mindful euphoria, within a class." Es finden "transformative" Gruppen-Workouts statt, aber auch mystisch anmutende Events an ikonischen Orten wie Kirchen, Kunstgalerien, altertümlichen Ruinen. Über Kopfhörer werden den Teilnehmenden immersive Klangerlebnisse eingespielt, Instructors führen bei Kerzenlicht durch hochintensives Intervalltraining, Kundalini Yoga, Breathwork, und mehr. Tragender Teil des Konzepts ist auch hier das intensive Gruppenerlebnis.
In der Yoga Community oder in alternativ-spirituellen Kreisen gehören solche Wege und Ziele traditionell zum Programm und sind Bestandteil des Produkt- und Markenkerns. Hat der Trend vom Ich zum Wir auch bei uns eine Chance im kommerziellen Spa & Wellness Business? Einer der Wegbereiter für die Wellnessbewegung, Dr. med. John Travis, der vor 50 Jahren in Kalifornieren das erste ärztliche Wellnesscenter gründete, war schon damals überzeugt: “The currency of wellness is connection”.