Helfer, Heiler, Hokuspokus
Unter dem Deckmantel "Wellness" finden sich viele dubiose Anbieter
Bevölkerungsumfragen bestätigen, dass die Bedürfnisse kranker oder in ihrem Befinden gestörter Menschen nur unzureichend in schulmedizinischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Kliniken befriedigt werden. Es wird nach Alternativen und Ergänzungen zum konventionellen Behandlungsangebot gesucht. Neue, aber auch schon in Vergessenheit geratene Verfahren aus dem Bereich der alternativen oder komplementären Medizin (auch "Ganzheitsmedizin" und unkonventionelle Verfahren) erfreuen sich weiter steigender Verbreitung. Hinzu kommen die Naturheilverfahren, die eine lange Tradition besitzen und in Deutschland immer größere Akzeptanz genießen (drei von vier Bürgern in den alten Bundeländern verwenden Naturheilmittel). Viele dieser Angebote werden heute - mehr oder weniger berechtigt - dem Wellness-Markt zugeordnet.
Auch innerhalb des traditionellen medizinischen Behandlungs- und Beratungsbereich breitet sich Wellness-Bewusstsein aus. Ärzte erkennen spätestens im Praxisalltag, dass die an den Universitäten gelehrte Schulmedizin ihre Grenzen hat und wichtige Wissensgebiete, wie z.B. die Ernährung, in ihrer Ausbildung vernachlässigt wurden. Da sich die Krankenkassen am Prinzip des "medizinisch Notwendigen" orientieren, werden ärztliche Leistungen, die darüber hinaus gehen, nicht anerkannt (sie werden unter den "Individuellen Gesundheitsleistungen, kurz: IGeL, gesammelt und dem Selbstzahlerbereich zugeordnet). Es muss tatsächlich bezweifelt werden, ob all das, was aus dem komplementären oder alternativen Bereich stammt, auch nachweislich hilft. Hier tummeln sich selbsternannte Gurus, Scharlatane und Geschäftsmacher.
Da es sich bei Wellness um einen Lebensstil handelt und nicht um eine therapeutische Behandlung, sollten im medizinischen und therapeutischen Bereich darunter auch nur Maßnahmen verstanden werden, die Menschen ein mit Wohlbefinden verbundenes Gesundsein oder Gesundwerden durch eigenes Handeln (manchmal auch Unterlassen) ermöglichen. Es geht um Lebensstil-Medizin, die gerade bei den die Krankheitsstatistik dominierenden chronischen "Zivilisationserkrankungen" zweifelsfrei die Methode der Wahl ist. Mit diesem neuen Verständnis entsteht auf Seiten der Behandlungs- und Beratungsberufe ein wachsendes Interesse und ein zunehmender Bedarf nach Angeboten, die „Patienten“ als Mit-Agierende für die eigene Gesundheit akzeptieren und unterstützen.
Die Vertreter alternativer und komplementärer oder esoterischer Methoden und Behandlungen legen in der Regel nicht deren Schwachstellen und kritische Aspekte offen. Wissenschaftler und medizinisch versierte Publizisten, die dies im Interesse des Verbrauchers tun, werden dafür oft heftig angefeindet. Der Deutsche Wellness Verband ist offen für alle Wege, die auf überzeugende Weise zu mehr Gesundheit führen. Er gründet seine Bewertungen und Empfehlungen auf die aktuellen Erkenntnisse der anerkannten Gesundheitswissenschaften.
Sich gut informieren statt blind vertrauen
Der Wellness-Markt boomt seit vielen Jahren. Neue oder traditionelle Anwendungen und Behandlungen - teils mit mystischem oder esoterischem Hintergrund - sollen den vom Wohlstand geplagten Menschen Linderung, Erholung und Erneuerung verschaffen. Manches davon beruht auf langer Anwendungserfahrung und verfügt über anerkannte Grundlagen, vieles kommt jedoch aus undurchsichtigen Quellen, teils aus fernen Kulturen, teils aus der Erfinderküche geschäftstüchtiger "Wellness-Experten". Und auch weite Teile der Esoterik-Szene haben mit der Wellness-Bewegung eine Wiederbelebung und vermehrte Verbreitung erfahren.
Wir raten Ihnen, sich vor Gebrauch dieser vielen Angebote sorgfältig über Herkunft, Konzept, Ablauf, Wirkungsnachweise sowie Risiken und Kontraindikationen zu informieren. Nicht minder wichtig ist die Glaubwürdigkeit und Qualifikation der Anbieter bzw. der Behandler. Wer ein bestimmtes Verfahren einsetzt, sollte zumindest nachweisen können, dass er hierfür eine seriöse Schulung oder Ausbildung erhalten hat. Wochenend-Seminare reichen dafür in der Regel nicht.
Eine Auswahl von Wellness-Verfahren, Anwendungen und Behandlungen finden Sie in unserem Wellness-Lexikon. Hier geben wir auch eine kritische Beurteilung über das jeweilige Verfahren ab. Daneben gibt es einige aus unserer Sicht hilfreiche Ratgeber und Fachbücher, die wir Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen und empfehlen möchten:
Kaum ein anderes Buch aus dem Gesundheitsratgeber-Bereich hat für so viel Wirbel gesorgt wie Die andere Medizin, ein Ratgeber der Stiftung Warentest für Heil- und Behandlungsverfahren jenseits der konventionellen Medizin. Das 330 Seiten starke Handbuch erläutert recht ausführlich die Grundprinzipien natürlicher und alternativer Heilverfahren sowie 54 einzelne Diagnose- und Therapieverfahren, von denen viele zu typischen Angeboten im Wellnessbereich gehören. (z.B. Shiatsu, Farbtherapie, Kneipptherapie, Massagen, Meditation, Qi Gong, Tai Chi, Reiki, Yoga). Die methodischen Grundlagen der Beurteilung sind solide und wissenschaftlich orientiert. Problematisch: Für viele der geprüften Verfahren gibt es (noch) keine wissenschaftlich überzeugenden Wirksamkeitsnachweise. Und: Auch beim kleinsten Verdacht auf Risiken wird ein Verfahren bereits als nicht sicher bewertet. So haben die Autoren vielen Methoden das Zeugnis "wenig geeignet" oder "nicht geeignet" ausgestellt. Kritiker haben dagegen eingewendet, dass bei einer so strengen Beurteilung viele Methoden der klassischen Schulmedizin ebenfalls mit "nicht geeignet" abschneiden würden. Dies ändert unserer Meinung nach allerdings nichts an dem Umstand, dass zahlreiche "alternative" Heilmethoden die eben festgestellten Mängel aufweisen.
Viele Methoden und Verfahren, die die Stiftung Warentest aus ihrer Beurteilung ausgeschlossen hat, finden sich bei Colin Goldner in dem überaus spannend zu lesenden Buch Die Psycho-Szene, erschienen in zweiter Auflage 2000 im Alibri Verlag (642 Seiten). Goldner, ein Diplom-Psychologe, gehört sicherlich zu den schärftsten Kritikern der esoterischen Therapieszene. Seine Ausführungen zu einzelnen Verfahren und Angeboten haben teilweise entlarvenden Charakter und decken die unseriösen Praktiken und Geschäfte mancher Szene-Gurus auf. Den Hauptteil des Buches bildet die kritische Darstellung der geläufigsten Verfahren und Begriffe esoterisch-spiritueller Therapie und Lebenshilfe (z.B. Aromatherapie, Aura Soma, Bachblüten, Bodywork, Edelsteintherapie, Fünf Tibeter, Kinesiologie, Mindmaschinen, NLP, Feng Shui, Klangschalen, Wunder- und Geistheiler). Goldner erläutert daneben weltanschauliche Hintergründe, portraitiert die bekannten Heiler und Lebenslehrer mit ihren Praxen, Therapiezentren, mit Kongressen, Seminaren und Workshops. Er untersucht die jeweiligen Qualifikationen dieser Personen und Einrichtungen, setzt sich mit rechtlichen Fragen auseinander und eröffnet Strategien der Abgrenzung und rechtlichen Abwehr. Goldner erhält seit dem ersten Erscheinen seines Buches (1997) heftige Angriffe und Anfeindungen aus der "Psycho-Szene". Wir sind der Meinung, dass sich jeder, der von diesen Themen unmittelbar betroffen ist - ganz gleich, auf welcher Seite stehend - mit diesem Buch auseinander setzen sollte.
Prof. Dr. Eckart Straube gilt als einer der wenigen Experten auf dem Gebiet der Psycholgie von Glaubens- und Heilserwartungen. Sein Buch Heilsamer Zauber, erschienen 2005 im Elsevier Verlag, geht dem wachsenden Interesse an alternativer spiritueller Lebenshilfe durch moderne Schamanen, "kosmische" Heiler, oder spirituelle Wochenend-Workshops auf den Grund. Dabei kommt er zu überraschenden Erkenntnissen und provozierenden Befunden. In unserer Gesellschaft scheint der Zerfall bindender sozialer Normen und Werte "religiöse" Bedürfnisse freizusetzen, die ganz besonders deutlich bei Heilriten beobachtet werden können. Staube zeigt auf, das solche rituellen Muster als fest einprogrammiertes psycho-biologischen Selbsthilfesystems zu verstehen ist, das schon unseren Urahnen die Überlebenschancen vergrößerte. Die Frage, warum wir auch heute noch auf jede Form von "Verzauberung" so stark reagieren - und sei es auch gegen jede Vernunft -, erweist sich mit jeder Seite, die man liest, als rätselhafter, wobei sich dem religiösen Skeptiker wie dem Nachdenklichen zahlreiche Anregungen und Einsichten bieten: Warum heilt Glauben? Das Buch ist keinesfalls eine Abfertigung dieses umstrittenen Themas - ganz im Gegenteil. So lautet die Überschrift des letzten Kapitels: Warum Therapie durch Glauben, durch schöne Verführungen und durch starke innere Bilder?
Das Buch von Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer liefert einen leicht verständlichen Streifzug durch die Medizingeschichte der Welt. Dabei werden neben dem frühzeitlichen und traditionellen Heil- und Medizinwissen sowie der Entwicklung der neuzeitlichen Schulmedizin auch alternativ- und komplementärmedizinische Systeme berücksichtigt. Prof. Grönemeyer plädiert dabei immer wieder für eine Hinwendung zu „ganzheitlicher Heilkunst“, für eine gegenseitige Akzeptanz und Kooperation der unterschiedlichen Kulturen, der alten und der neuen Systeme, unter dem Primat einer "humanitären Humanmedizin". Entgegen den Positionen bekannter Kritiker von wissenschaftlich fragwürdigen Gesundheitsangeboten (wie etwa der Stiftung Warentest und Prof. Edzard Ernst) erkennt Grönemeyer den Wert der unkonventionellen, teils exotischen Verfahren - auch aufgrund persönlicher Erfahrungen - an, rät aber gleichzeitig zu kritischem Bewusstsein. Zahlreiche Methoden, auch aus der Naturheilkunde, werden in acht Kapiteln angeschnitten und kurz erklärt. Ein 60-seitiger lexikalischer Abschnitt komplettiert das Buch.
In Sprachstil und Wortwahl erkennt man die wohlwollenden Absichten des ärztlichen Autors, seine Wertschätzung für alle Facetten rechtschaffenen, medizinisch wirksamen Helfens und seine Vision einer nutzbrigenden integrativen Medizin. Auch pauschalisiert er nicht mit Bewertungen, sondern schildert immer wieder seinen persönlichen Standpunkt und seine eigenen Erfahrungen.
Für medizinische Experten liefert das neue Buch von Sven Gottschling zwar kaum neue Erkenntnisse, für Laien und „normale“ Patienten hingegen ist es eine nützliche Aufklärung und Orientierungshilfe im Dschungel der nicht schulmedizinischen Behandlungsangebote. Erfreulich, dass der Autor bereits einige Jahre klinische Erfahrung mitbringt und nicht in erster Linie Publizist ist. Viele Beispiele aus seiner ärztlichen Karriere und heutigen Praxis helfen, Standpunkte und Empfehlungen leichter nachzuvollziehen. Hilfreich ist auch der Verzicht auf Fachchinesisch. Und wenn medizinische Ausdrücke fallen, werden sie umgehend erklärt. Den Kern des Ratgebers bringt schon das Vorwort eines der bekanntesten Kritiker der Alternativmedizin, Edzard Ernst, auf den Punkt: Gute Medizin ist Wissenschaft und Kunst gleichermaßen und wer nicht beides liefert, bietet eben keine gute Medizin. Das gilt für die Schulmedizin nicht weniger als für die Alternativ- und Komplementärmedizin.
Der Autor geht mit den konkurrierenden Systemen gleichermaßen ins Gericht. Während es in der Schulmedizin an Kommunikation, Vertrauensbildung und Würdigung von heilsamen Erwartungseffekten (Placebo) fehle, versage die Alternativ- und Komplementärmedizin häufig durch mangelnde wissenschaftliche Evidenz und Seriosität. Dafür liefert Gottschling viele eingängliche, leicht nachvollziehbare Beispiele, auch vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen. So diskutiert er ausführlich aktuelle Kontroversen wie den Einsatz von Methadon und Cannabis, setzt sich aber auch im Detail mit besonders populären Methoden wie Akupunktur, Homöopathie und Pflanzenheilkunde auseinander. Abschließend rechnet der Autor kurz und informativ mit einigen mehr oder weniger bekannten alternativmedizinischen Methoden aus der Kategorie „Beliebtes, Skurriles und Spektakuläres“ ab. Gottschling gelingt, woran viele Schulmediziner scheitern: Er ist verständlich, nimmt sich Zeit und man gewinnt Vertrauen zu ihm.