Selbstoptimierung: Der Kern der Wellness-Philosophie
Lutz Hertel, Vorsitzender des Deutschen Wellness Verbands, 27.05.2020
Einfach wohlfühlen: So würden wohl viele beschreiben, was sie unter Wellness verstehen. Der Begriff steht heute für einen globalen Markt, in dem jährlich mehrere Billionen Euro umgesetzt werden, wie das Global Wellness Institute uns glauben lässt. Man muss sich allerdings fragen, ob all das wirklich etwas mit Wellness im eigentlichen Sinne zu tun hat, oder ob der Begriff längst für rein kommerzielle Interessen missbraucht wird.
Als Begründer der ursprünglichen Wellness-Bewegung gilt der amerikanische Sozialmediziner und Medizinstatistiker Halbert L. Dunn. Er verbreitete seine Erkenntnisse über die Idee einer positiver Gesundheit (also mehr als nur nicht krank zu sein) in einigen Schriften und Vorlesungen in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Seiner Idee einer positiven Gesundheit gab er den Namen "High Level Wellness". Wellness definierte er als einen Prozess, in dessen Verlauf jeder Mensch die ihm innewohnenden Potenziale im Rahmen der gegebenen äußeren Voraussetzungen möglichst umfassend entwickeln und ausschöpfen sollte.
Heute würde man das, was Dunn als "maximizing the potential" umschrieb, Selbstoptimierung nennen. Wellness wurde von skeptischen Soziologen auch bereits damit in Zusammenhang gebracht. Allerdings genießt das Konzept der Selbstoptimierung nicht nur unter Soziologen ein verbreitet schlechtes Image. Es wird von Kritikern beklagt, dass falsche Vorbilder verfolgt würden, Menschen sich mit diesem gefährlichen Gedankengut selbst überforderten und letztlich sehr unglücklich oder gar sterbenskrank damit würden. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf die Instagram-Stars verwiesen, die sich geschickt in Szene setzen, teils kommerzielle Interessen damit verfolgen und denen Millionen fast blind nacheifern.
Dies und vieles Weitere, was mit Selbstoptimierung in Verbindung gebracht wird (auch die quantified self Bewegung), muss als großes Missverständnis erklärt werden. Der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid hat in einem bemerkenswerten Essay klar gestellt, dass Selbstoptimierung nicht der Perfektionierung unseres Aussehens oder unserer Gesundheit dient, sondern dem humanistisch sinnvollen Streben nach Verbesserung unserer menschlichen Eigenschaften entspricht. Im Sinne der Wellness-Philosophie führt Selbstoptimierung auf den Weg zu einem gelingenden, langfristig glücklichen Leben, im Einklang mit uns selbst.
"Erscheint es sinnvoll, im Laufe des Lebens etwas aus sich zu machen, was spannend ist? Etwas, was als Möglichkeit, als Talent vielleicht schon angelegt ist? Möglicherweise sogar das Beste, was man sich zutraut und was zumindest nicht das Schlechteste für andere ist? Das wäre dann das Optimum, im lateinischen Wortsinn verstanden. Es muss nicht perfekt sein, auch wenn es im Sprachgebrauch damit vermengt wird. Das Optimum schliesst Fehler ein, die Perfektion schliesst sie aus."
Schmid stellt fest, dass die Selbstoptimierung zu Unrecht in Veruf geraten ist. Selbstoptimierung sei ein ureigenes Anliegen des Humanismus und humanistischer Gesellschaften. Der Mensch sei stets um Besserung und Weiterentwicklung seiner selbst und seiner Lebensbedingungen bemüht - zu Recht.
Und an die Adresse der intellektuellen Kritiker der Selbstoptimierung hat der Philosoph Schmid auch eine bemerkenswerte Antwort: Vielleicht kommen sie mit ihrer eigenen Trägheit nicht klar. Wenn sie es schon nicht selbst schaffen, die Energie für die Arbeit an sich selbst aufzubringen, dann tut es ihnen doch gut, zumindest diejenigen schlecht zu reden, denen es gelingt.
Selbstoptimierung und Corona? Auch dafür hat Schmid eine sinnige Anregung:
"Wenn nach Corona alles auf dem Prüfstand steht, ist die Gelegenheit günstig für einen Neuanfang. Es spricht nichts dagegen, die Selbstoptimierung selbst zu besetzen und ihr einen anspruchsvolleren Inhalt zu geben. Glücklicherweise ist niemand im Besitz der Markenrechte."