Wellness-Beiträge



Medical Wellness

von Hildegard Dorn-Petersen
Gesundheit ist den Deutschen ein hohes Gut. Geht man nach Umfragen, steht Gesundheit ganz oben im Stellenwert der Wünsche. Dabei vergisst man oft, dass „Gesundheit“ heute viel mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit.


Dies hatte auch die World Health Organisation (WHO) erkannt, die wenige Jahre nach dem 2.Weltkrieg eine ziemlich revolutionäre Definition von Gesundheit erarbeitete: “Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the abscence of disease or infirmity“ Gesundheit ist damit nach Aussage der WHO der Zustand vollständigen physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit – Gesundheit als „wellbeing, verbunden mit einem allgemeinen und kulturell variablen „Wohlfühlen“. In der Zwischenzeit hat die WHO die Definition revidiert; sie lautet heute: „Gesundheit ist die Fähigkeit, trotz eines gewissen Maßes an Mängeln, Störungen und Schäden leben, arbeiten, genießen und zufrieden sein zu können.“ [Anmerkung der Redaktion: Dies erscheint zweifelhaft, da es auch in der aktuellen 49. Edition des Basic Documents der WHO aus dem Jahr 2020 weiterhin heißt: "Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity."]

In den 50er Jahren wurde „Wellness“ zu einem Schlagwort für eine neue Gesundheitsbewegung in den USA unter der Federführung von Dr. Halbert Dunn. Seine Absicht: Krankheiten erst gar nicht entstehen lassen, sondern durch bewusste Lebensweise vorzubeugen und die Vitalpotenziale ausschöpfen. In den 70er Jahren griffen einige US-Ärzte Dr. Dunn’s Gedanken auf, warben mit dem Begriff „Wellness“ für präventive Alternativen und einen gesunden Lebensstil. Dies war der Startschuss für die amerikanische Wellness-Bewegung. Aus dieser Zeit stammt auch die Definition des Begriffes als Kombination aus (objektiv) guter Gesundheit und (subjektiv) hohem Wohlbefinden

Der Entwicklungsprozess im „Wohlfühlmarkt“ in den vergangenen Jahren war rasant. Eine Studie von „global insight“ aus dem Frühjahr 2004 spricht von einem Umsatz von rund 54,3 Mrd. Euro im Jahr 1999 und 65 Mrd. Euro im Jahre 2003. Für 2005 prognostizieren die Marktforscher von „global insight“ Ausgaben in Höhe von annähernd 73 Mrd. Euro. Nach Aussage des Institutes für Freizeitwirtschaft haben die Deutschen 2003 rund 2,5 Millionen gesundheitsorientierte Reisen unternommen. Davon entfielen 1,4 Millionen auf Health-Care-Urlaub zur Prävention und Linderung von Gesundheitsproblemen, 800.000 Reisen auf Wellness-Urlaub, 200.000 auf das Segment „Beauty“ und 100.000 auf „Anti-Aging“. Spricht man von Zukunftsmärkten, ist immer mehr von „Medical Wellness“ die Rede. Doch was ist darunter eigentlich zu verstehen, und wo sind die Grenzen?

Grundsätzlich definiert „Medical Wellness“ eine Verknüpfung von touristischen und medizinisch-therapeutischen „Wellness“-Leistungen. Dabei geht es darum, dass die medizinischen Leistungen als Basis oder Ergänzung zu Wellnessangeboten auf einer seriösen Basis erbracht werden. Der Begriff grenzt damit Leistungen und Produkte aus, die sich nur im Bereich Wellness oder Tourismus ohne medizinischen Aspekt definieren.

Lutz Hertel, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbandes, hat seine eigene Definition: „Für mich bezeichnet „Medical Wellness“ nichts anderes als Verhaltensmedizin - „behavioral medicine“ – denn es geht darum, medizinisch relevante Ergebnisse durch eine diagnostisch begründete Wahl von Verhaltens- und Einstellungsänderungen – kurz: Lebensstiländerungen – zu bewirken. Die entsprechende Änderung der Lebensweise wird jedoch nur dann mittel- und langfristig aufrecht erhalten, wenn der Erwerb und die tägliche Praxis dieser alternativen Lebensweisen mit Genuss und Freude verbunden ist. Aus diesem Grunde findet der Begriff Wellness in diesem Zusammenhang seine Berechtigung. Medical Wellness Programme sind insbesondere für Menschen mit bereits eingetretenen chronischen Erkrankungen indiziert, bei denen die Lebensführung einen großen Einfluss auf Entstehung und Verlauf der Erkrankung hat.. Diese Klarstellung soll auch mit der irrigen Meinung aufräumen, Wellness sei nur ein Thema für die Schönen, Reichen und Gesunden, die sich luxuriös verwöhnen lassen.
 
Dazu Dr. Thomas Wessinghage, der sich als ehemaliger Leistungssportler und Chefarzt einer Rehabilitationsklinik intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, im Handbuch „Wellness + Wirtschaft“ von Barbara Richter und Maria Pütz-Willems: „Die Übergänge zwischen Medizin und Wellness sind fließend. Direkte Berührungspunkte mit der Medizin haben die Bereiche Bewegung, Entspannung und Ernährung. Ganzheitliches Denken ist eine grundlegende Voraussetzung modernen medizinischen Handelns.“ Dr. Wessinghage betont in seinem Statement gegenüber den Autorinnen: „Ein Mediziner ist natürlich gewohnt, darauf zu achten, dass die eingesetzten Methoden bewährt und ggf. sogar wissenschaftlich überprüfbar sind. Wichtig sind Qualitätsstandards, Transparenz bzw. Nachweisbarkeit von Effekten und nicht zuletzt die Qualifikation der durchführenden Personen.“

Seriosität verlangt laut Wessinghage stets nach Kenntnis und weitestgehender Reduzierung gesundheitlicher Risiken für Gäste und Patienten. Dies gilt für Medizin und Wellness in gleichem Maße. Dies kommt auch zum Tragen, wenn ein Hotelbetrieb sich um das Premium-Zertifikat des Deutschen Wellness Verbandes bewirbt. Bei den Mystery Checks sind die Abfrage von Kontraindikationen, bestehenden Krankheiten, Allergien, Kreislaufproblemen u.a. vor Inanspruchnahme von Wellness-Leistungen absolute Voraussetzung.

Auf der Suche nach einer zielgerichteten Definition von „Medical wellness“ darf man nicht verheimlichen, dass aus der Sicht der akademischen Medizin das „klassische“ Krankheitsmodell immer noch von „krankhaften“ Veränderungen im Gegensatz zu einem „gesunden“ Normalzustand ausgeht. Das Resultat ist eine schier endlose Liste von die Gesundheit bedrohenden „Risiko-Faktoren“, die es tunlichst zu meiden gilt. Dem gegenüber ist die Grundphilosophie von Wellness eine an den individuell bestehenden Ressourcen orientierte Stärkung der positiven, gesundheitsfördernden Potenziale. Und eines hat sich den Zeiten der „Urväter“ von Wellness nicht geändert: es geht immer um eigenverantwortliches Handeln.

Durch die Kostendämpfung im Gesundheitswesen sind selbst bestimmtes Handeln und Prävention gefragt. Diesen potenziellen Kunden umwerben heute Kureinrichtungen, Rehakliniken und Wellnesshotels in gleichem Maße. Nachdem heute selbst die Bundesagentur für Arbeit von „Kunden“ statt von Arbeitslosen spricht, muss man auch diesen Begriff hinterfragen. Denn im Grunde sind nur diejenigen „Kunden“, welche eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit haben, wenn es darum geht, an welchem Ort und auf welche Weise man sich etwas Gutes tun möchte. Alle anderen Personen, deren Entscheidungsfreiheit durch etwa durch frühere oder akute Erkrankungen, Kontraindikationen u.a. beeinflusst wird, sind streng genommen Patienten. Gelingt es, diesen „Patienten“ zum Wellnesskunden zu machen, ist der Weg für „Medical Wellness“ frei.

Geht es um Wellnesshotels, taucht immer wieder die Frage auf, ob ein Arzt im Hause Voraussetzung ist. Von Vorteil ist es in jedem Falle. Dies belegen erfolgreiche Häuser, darunter Bollant’s im Park und das Menschels Vitalresort in Bad Sobernheim oder auch  Schüle’s Gesundheitsresort in Oberstdorf. Alle vorgenannten Häuser haben sich übrigens einer Zertifizierung durch den Deutschen Wellness Verband unterzogen, oder sind im Begriff dies zu tun – ein Zeichen für die hohe Meßlatte an Qualität, die man dort anlegt. In Damp arbeitet man seit Jahren erfolgreich mit Dr. Wessinghage zusammen. Die „Wutzschleife“, die seit einem Jahr auf ein ganzheitliches Ayuveda-Konzept setzt, hat sich mit Aruna Bandara fachlich kompetente Unterstützung aus Sri Lanka geholt. Die gelungene Umsetzung von ayuvedischer Medical Wellness überzeugte auch die Juroren der „Wellness-Aphrodite“. Mit diesem Preis zeichnete der Freizeit-Verlag Landsberg im Dezember 2004 die besten Wellness-Hotels im deutschsprachigen Europa aus.

 Doch auch eine externe Kooperation mit einem Mediziner ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Dies erfuhren jüngst die Hoteliers auf der Insel Usedom in einem Workshop zum Thema „Medical Wellness“ mit dem Dr. Jerzy Dyczynski, Oberarzt für innere Medizin an der Inselklinik, der zusätzlich ein Studium für TCM in Peking absolviert hat. Er machte klar, dass richtig verstandene „Medical Wellness“ bereits bei der Programmgestaltung beginnt. Will man beispielsweise Gäste ansprechen, die Entgiftung und Entschlackung suchen,  müssen alle Anwendungen darauf abgestimmt sein, von der Ernährung, den Anwendungen, Bädern bis hin zur Gestaltung der Aktivitäten. Programme wie die „Klimatische Bewegungstherapie“, wie sie in den Usedomer Kaiserbädern bereits seit über 5 Jahren angeboten werden, können beispielsweise ohne Probleme von der Wellness-Hotellerie übernommen werden.

Mit Vorsicht zu genießen sind nach Dr. Dyczynski auch computerunterstützte Programme, die heute in verschiedenen Hotels angeboten werden. Diese sind allenfalls als „Vitalitätscheck“ geeignet, auf den dann beispielsweise das individuelle Programm des Gastes abgestimmt wird. Sie können und sollen aber in keinem Falle eine Diagnose ersetzen, wie sie nur der Mediziner leisten kann. Bedenklich auch, wie ein Schönheitschirurg auf Usedom die Hoteliers ködern wollte: Bei ambulanten Schönheitsoperationen sollten die Gäste im Hotel wohnen – die Nachsorge könne dann die hauseigene Kosmetik übernehmen!

In Baden-Baden hat private Gesundheitsvorsorge lange Tradition. Brenner’s Park Hotel setzt mit seinem Konzept „Medical Spa“ auf ein hochwertiges Angebot, das gemeinsam mit leistungsfähigen und kompetenten Partnern umgesetzt wird. Hochwertige medizinische Diagnostik, umfassende individuelle Beratung und ganzheitliche therapeutische Behandlungsmöglichkeiten stehen dem Gast ebenso zur Verfügung wie Komfort und Angebot des 5-Sterne-Hotels. Die Rechnung scheint aufzugehen, denn die Palette des Angebotes wird ständig erweitert, zuletzt im Frühjahr 2004 durch ein hypermodernes zahnmedizinisches Zentrum.

Im Nachbarland Schweiz wird die Integration von Medizinern in das Leistungsangebot von Wellness-Hotels sogar von den Krankenkassen unterstützt. Als Kooperationsmodell der Schweizer Krankenkasse CSS mit dem Panorama Ressort & Spa in Feusisberg entstand ein  „Erlebnis-Gesundheits-Check Up“. Das Hotel bietet dabei die Infrastruktur, führt Anwendungen durch und übernimmt einen Teil der Kommunikation. Die CSS übernimmt die Durchführung der Check-Ups, das Bereitstellen des Fachpersonals, die Auswertung und eventuelle Begleitung nach dem Check-up und einen Teil der Kommunikation. Erste Erfahrungen zeigen, dass eine klare Aufgabenteilung unterlässlich ist. Möglich sind zwei Bezahlungsmodelle: direkt im Hotel oder bei der CSS; eine Zuzahlung der Kassen kann in beiden Fällen erfolgen.

Noch sind leider die deutschen Krankenkassen von einer solchen Zusammenarbeit mit der Wellness-Hotellerie weit entfernt. Sie bieten zwar in zunehmendem Maße Präventionsprogramme an, vermarkten in ihren Broschüren aber Wellness-Hotels in Österreich und der Türkei. Die Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern, im Rahmen der Qualitäts-Initative die Zertifizierung von Wellness-Betrieben auch auf Reha-Kliniken auszudehnen, scheiterte an der Befürchtung der Häuser, Ärger mit den Kassen zu bekommen. Lediglich eine Klinik wagte es, sich um das „Wellness-Zertifikat“ zu bewerben: die Klinik am Haussee, die ein eigenes „Medical-Wellness-Zentrum“ eingerichtet hat. 

Ein anderes interessantes Konzept für richtig verstandene, ausgewogene „Medical Wellness“ findet man ebenfalls in der Schweiz, im 5-Sterne-Kulm-Hotel in St. Moritz: das „Champ Health & Fitness ABC“. Die Idee: sich ohne Einschränkungen bewegen zu können und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, ist die wichtigste Bedingung für Lebenszufriedenheit im Alter. Durch die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung wird die  persönliche Vorsorge immer mehr zum zentralen Thema unserer Gesellschaft.
 Das Programm im Kulm-Hotel deckt die drei wesentlichen Bereiche der persönlichen Gesundheitsvorsorge ab: A wie Agility steht für alle Arten von Herzkreislaufbelastungen, um das persönliche Immunsystem intakt zu halten, B wie Balance steht für alles rund um die Wirbelsäule, um auch mit zunehmendem Alter entsprechend mobil zu sein, C wie Creativity wird benötigt, um sich entsprechende Erholungsphasen zu gönnen, damit auch ein positiver Gedanken-Flow und Lebensfreude entstehen.

Die vorgenannten Modelle zeigen: die Implementierung von „Medical Wellness“ in die Hotellerie kann man nicht überstülpen; jedes einzelne Haus muss für sich einen eigenen Weg finden. Für viele Programme ist es jedoch nicht notwendig, einen großen Apparat im eigenen Haus aufzubauen, oder ein medizinisches Dienstleistungszentrum direkt gegenüber zu haben. Weniger ist oft mehr.

Richtig verstanden und umgesetzt, ist „Medical Wellness“ sicherlich ein Zukunftsmarkt.
Im Frühjahr 2004 veröffentlichte das Institut für Freizeitwirtschaft GmbH, München die Studie „Marktchancen im Gesundheitstourismus“. In dieser Studie werden zum ersten Mal Gäste und ihr Interesse an neuen, innovativen Wellness- und Gesundheitsangeboten detailliert erhoben und analysiert. Außerdem werden in der Studie die Perspektiven und Wachstumspotenziale für den deutschen Gesundheitstourismus bis 2010 – auf Basis eines realistischen Szenarios der demographischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen – analysiert und prognostiziert.

In der Tat sehen die Forscher des Institutes ein enormes Wachstumspotenzial in allen Segmenten: Aufgrund seiner Nullposition in 2002 verzeichnet der Anti-Aging-Urlaub das größte prozentuale Wachstum; er bleibt aber mit 260.000 Reisen in 2010 Schlusslicht unter den vier Urlaubskategorien. Der zweithöchste Zuwachs ist für Beauty-Urlaub zu erwarten; er bleibt mit 350.000 Reisen in 2010 wie bisher auf Platz 3. Das dritthöchste Wachstum ergibt sich für Wellness-Urlaub; die Zahl der Wellness- Reisen verdoppelt sich beinahe; trotzdem bleibt diese Urlaubsform wie bisher auf Platz 2. Das geringste prozentuale Wachstum verzeichnet der Health-Care-Urlaub; er bleibt jedoch mit über 2 Mio. Reisen aus Sicht der Münchner Auguren auch in 2010 an der Spitze der Urlaubsarten.

Kontakt für Rückfragen: Hildegard Dorn-Petersen

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