Wellness-Beiträge



Glosse: Die Wohlfühl-Welt strengt an

(von Lutz Hertel)

Haben Sie schon Wellness aufs Brot probiert? Oder Schuhe mit Aloe Vera Einlagen getragen? Der Wellness-Wahn kennt keine Grenzen mehr.

Welche Branche will sich schon nachsagen lassen, sie kümmere sich nicht um die Verwöhnbedürfnisse ihrer Kundschaft? Vordergründig betrachtet. Eigentlich geht es wohl mehr um die Verteilung der 70 Milliarden Euro, die den Deutschen ihr Gesundheit stiftendes Vergnügen jährlich wert ist. Bei reichlich National-Gejammer über das Ende der fetten Jahre steigern wir dennoch bereitwillig unsere Konsum-Ausgaben für fernöstliche  Entspannungsmusik, bakteriengeschwängerte Joghurts, nutzlose Anti-Aging-Cremes, spirituelle Kräuterdrinks oder Johanniskrauttabletten. Dieser Markt wächst Jahr für Jahr um satte sechs Prozent. Neben dem kleinen Wellness-Alltag boomt der große Wellness-Sonntag, der die verloren gegangene Einheit von Körper, Geist und Seele im Stile einer Neugeburt geschwind wiederherstellen soll.

Ayurveda, Aqua-Balancing, Thalasso und Tai Chi, Yoga, Reflexzonenmassage und Aromatherapie sollen mehr als bloß entspannen:die Seele hat widerstandsfähiger gegen den Psychostress des Alltags zu werden. Wellness, eine inzwischen willkommene Art Therapieersatz fürs ganze Volk. Die Erwartungen sind hoch gesteckt: Es soll neue Kraft und Lebensfreude schenken, Zuwendung und ein gutes Körpergefühl verleihen und auch noch bei der Suche nach Sinn und Identität behilflich sein.

Weil eben Wellness, darf der Weg dort hin vor allem eins nicht: anstrengen. Am liebsten alle Viere von sich strecken und einfach von Kopf bis Fuß verwöhnen lassen. Bis schließlich dann am besten ein ultimativer Sinnesrausch den lustvollen Höhepunkt beschert. Man will gepackt und überwältigt werden, wie bei einem Glücksgefühl, das einen unerwartet durchströmt, nur dass man bei Wellness darauf wartet. Besonders der Fernost-Import zieht die müde Klientel in seinen Bann. Des mystischen Beiwerks befreit, werden ganzheitliche, bewährte Methoden - Gesundheit, Entschleunigung und Sinn stiftend –zeitgemäß auf Leichtigkeit getrimmt. Da kommt das Zen-Bewusstsein auch nicht mehr aus geduldiger Geistesübung, sondern viel bequemer etwa aus dem Parfum-Flakon. Ein paar erfundene Tibeter als vermeintliche Entspannungsbringer, etwas Ölgießerei auf Haupt und Haar, dazu ein Dosha-Tee – und fertig ist das Asia Wellness Programm für ahnungslose Genießer.

Am meisten aber lockt der Ausflug in eins der über tausend Wellness-Hotels. Seit 1999 hat sich das Interesse an den kompakten Wohlfühl-Aktiv-Verwöhn-Ferien fast verdreifacht. Und bis 2010 sollen sich die Ausgaben allein in diesem Markt nochmals um 100% vermehren.
Ändert sich nichts an unseren Lebensumständen und -einstellungen, wird die Rechnung wohl aufgehen. Unsere arbeitssüchtige Gesellschaft gilt immer noch als leistungsfixiert, hypermobil und turboberschleunigt. Die Kehrseite dieser Medaille: Ängste, Depressionen, Zwänge haben das Volk bereits weitflächig befallen. Fast jeder Vierte hierzulande gilt als psychisch behandlungsbedürftig.

Zwei von drei Deutschen träumen also von einem Urlaub auf Wolke Wellness. Ein universeller Starkmacher und Weichspüler in einem, Sorgenkiller und auch Balsam fürs Gemüt. Wem will man diese Sehnsucht auch verwehren, wo die Quellen von Zuwendung, Entlastung und liebevoller Pflege rar geworden sind.

Und so stürmen jeden Freitag die kraftdurstigen Leistungsopfer in die Wellness-Abteilungen der Wohlfühl-Hotellerie. Sie hopsen mit Juchhei von Sauna zu Hamam, von Cleopatrabad auf die  Hot-Stone-Pritsche, vom Stirnölguss in den Algenwickel . In zwei bis drei Tagen wollen unzählige Stunden falsches Leben ausgeglichen werden, und das bitte schön auf die sanfte, unbeschwerte Tour.

Der anfänglichen Euphorie der Erlebnishungrigen folgt nun schon hin und wieder auch die Ernüchterung: Die Wohlfühlwelt strengt an. Zu viel Hitze, zu viel Wasser, zu viel Dampf und Duft. Wellness-Stress statt Wellness. Die Menschen wollen sich Zeit für sich nehmen und nehmen sich dafür keine Zeit.

Da lohnt ein Blick zurück in die Geschichte. Wellness, das meint die Kunst genussvoll gesunder Lebensführung. In seinem Lustgarten lehrte schon der griechische Glücks-Philosoph Epikur, dem Wellness-Quicky skeptisch zu begegnen. So freudvoll auch die sinnlichen Genüsse wirken: weniger ist oftmals mehr. Und nicht zuletzt das Motto mancher amerikanischen Wellness-Pioniere sollte uns zu denken geben: „Life is a mountain, not a beach.“ Will heißen: Wenn Sie das nächste Mal einen Wellness-Urlaub buchen, lassen Sie sich bei dieser Gelegenheit ruhig auch das nötige Rüstzeug für den weiteren Aufstieg geben. Das haben Sie sich verdient.

Lutz Hertel, Dipl.-Psychologe
Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbandes e.V.

  Zurück zur Übersicht

Fördermitglieder