wellness und spa in corona-zeiten: eingeschränkt wohltuend

 

Spas und Wellnessanlagen dürfen unter strikten Auflagen wieder öffnen. Doch wie rentabel ist das für die Betreiber und wie attraktiv für die Gäste? Ein Interview von Lutz Hertel, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbands, mit Katja Kösztler für das Fachmagazin KOSMETIK INTERNATIONAL (erschienen Juli 2020).

KOSMETIK INTERNATIONAL: Thermen, Spas und andere Wellness-Einrichtungen dürfen nach und nach ihre Pforten wieder öffnen. Welche Standards und Auflagen in Sachen Hygiene und Infektionsschutz müssen Betreiber und Mitarbeiter erfüllen?

LUTZ HERTEL: Generell lautet die Vorgabe, den Mindestabstand von 1,50 m zwischen Personen so weit wie möglich sicherzustellen, ansonsten das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung von Mitarbeitenden und Gästen zu verlangen. Es muss viel gelüftet, gereinigt, gewaschen und desinfiziert werden. Die Zahl der Personen, die sich höchstens gleichzeitig in Räumen, aber auch Außenbereichen befinden dürfen, muss kontrolliert werden. Die Kontaktdaten der Gäste müssen zwecks Verfolgung möglicher Infektionsketten durch die Gesundheitsämter erfasst werden. Einzelheiten regeln je nach Bundesland unterschiedliche Verordnungen und Hygienevorschriften. Die Betriebe müssen ihre individuellen Hygiene- und Infektionsschutzpläne ausarbeiten und im Falle von behördlichen Kontrollen vorlegen.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Welche Angebote sind aktuell in Spas erlaubt, welche nicht?

LUTZ HERTEL: Es gibt zunehmend Lockerungen. Dabei haben die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Geschwindigkeiten und Reihenfolgen und ändern manchmal auch von heute auf morgen ihre Entscheidungen. Kosmetik- und Massagebehandlungen sind inzwischen wohl überall in Deutschland erlaubt, wobei für die so genannten körpernahen Dienstleistungen besondere Schutzmaßnahmen eingehalten werden müssen, die teilweise klar definiert sind, die man sich aber manchmal auch über die zuständigen Behörden, insbesondere Gesundheitsämter, selbst beschaffen muss. Die Nutzung der Indoor-Nassbereiche (Wet Spa) ist – anders als in Österreich und in der Schweiz - überwiegend noch nicht erlaubt (Stand 6. Juni 2020). Das wird sich aber sehr wahrscheinlich in absehbarer Zeit ändern. Auch dafür gibt es dann spezielle Vorgaben für Hygiene und Infektionsschutz, die befolgt und dokumentiert werden müssen.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Ist ein rentabler Betrieb unter diesen Bedingungen überhaupt möglich?

LUTZ HERTEL: Das kann jeder Betrieb nur für sich selbst ermitteln. Wenn die vollen Betriebs- und Personalkosten laufen, aber nur die Hälfte der üblichen Gäste bzw. Kunden kommen, ist man schnell in der Verlustzone. Einige Betrieb der Spa- und Wellnessbranche haben unter den gesetzten Vorgaben deshalb von vornherein gar nicht erst geöffnet oder nach kurzer Zeit wieder geschlossen. Andere wiederum kommen mit den Einschränkungen relativ gut zurecht. Das sind dann eher die Klein- und Kleinstbetriebe einschließlich der Soloselbständigen. Aber auch für sie ist die Situation nicht einfach, allein schon wegen des zusätzlichen, Arbeits-, Zeit- und Kostenaufwands für die geforderten zusätzlichen Schutzmaßnahmen.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Mit welchen zusätzlichen, regelkonformen Angeboten können Spas und Wellness-Anlagen ihr eingeschränktes Leistungsspektrum aufwerten bzw. ausgleichen?

LUTZ HERTEL: Es ist mir bislang nicht bekannt, dass Spas alternative Leistungen zur Kompensation anbieten. Das Kerngeschäft – die Treatments – ist wieder erlaubt. Auch Paarbehandlungen sind möglich, wenn die behandelten Personen aus einem Haushalt kommen oder ein hinreichender Mindestabstand zwischen den Behandlungsliegen gewährleistet ist.


KOSMETIK INTERNATIONAL: In den letzten Jahren war der weltweite Wellness-Markt geprägt von stetigem Wachstum und steigenden Umsatzzahlen. Wie wird es in der Branche Ihrer Meinung nach nun weitergehen (bitte eine längerfristige Prognose)?

LUTZ HERTEL: Während des Shutdowns haben viele Menschen aus der Not eine Tugend gemacht und andere Wege gesucht, ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit zu pflegen. Sehr viele haben zum Beispiel das Laufen bzw. Joggen entdeckt oder haben sich daran erinnert. In nahezu allen Dienstleistungssegmenten des Wellnessmarkts haben die Menschen erkannt, dass es funktionierende Alternativen gibt, insbesondere Do it yourself Alternativen. Durch die intensive Berichterstattung wurde mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Gesundheit, der Selbstverantwortung und des Lebensstils geweckt. Die Coronakrise hat Zweifel geschürt, ob das dominierende Mantra der Wirtschaft, mehr Wachstum, mehr Produktion und mehr Konsum seien gut und notwendig, falsch sein könnte. Das alles hat sicherlich bei manchen Kund*innen auch bereits Entscheidungen verändert. Sind wir mal ganz ehrlich: Typische Spa-Journeys und Spa-Treatments leisten – wenn überhaupt – nur einen bescheidenen Beitrag zur Prävention von Erkrankungen und zur Förderung von Gesundheit. Ich bin aber überzeugt, dass echte Wellness an Bedeutung gewinnen wird. Ich rechne damit, dass die Umsätze der klassischen Spa-Industrie im Nachgang der Corona-Pandemie einen Dämpfer bekommen werden, wenn sich die Angebote nicht in Richtung echter Wellness entwickeln bzw. ergänzen.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Wie geht es der Wellness-Branche aktuell im Allgemeinen?

LUTZ HERTEL: Die sogenannte Wellness-Branche war in den letzten Jahren von kontinuierlichem Wachstum geprägt, wenn man den Statistiken der Marktforscher Glauben schenken mag. Insbesondere das Global Wellness Institute, hinter dem das amerikanische Ehepaar Susie und Peter Ellis (Spafinder) steht, vermittelt mit seinen Economic Reports beständig den Eindruck, „Wellness“ sei vor allem eins: Ein lukrativer Markt, ein Eldorado mit einem schier unendlichen Big Business. Vielleicht mag das für bestimmte Unternehmen und Segmente gelten, aber sicher nicht für alle. Es gibt unzählige Kleinstunternehmen und Soloselbständige in der Wellness-Branche, die wenig oder keine Gewinne erzielen. Und auch Spa Resorts und Wellnesshotels haben es inzwischen nicht leicht, ihre Wellnessbereiche mehr als kostendeckend zu betreiben.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Wer sind die größten Verlierer der Krise?

LUTZ HERTEL: Im Moment habe ich den Eindruck, dass die öffentlichen Bäder- und Saunabetriebe, die ganz großen Wellnessanlagen sowie die deutschen Wellnesshotels besonders unter der Krise leiden. Sie gehören im Zuge der Lockerungsmaßnahmen zu den letzten, denen die politischen Entscheidungsträger die Genehmigung zur Wiederöffnung ihrer Betriebe bzw. der entsprechenden Bereiche gegeben haben. Es ist auch deshalb bitter, weil Wellness-Betriebe im Süden, die auf Touristen angewiesen sind, durch die früheren Lockerungen in den südlichen Nachbarländern benachteiligt wurden.

 

KOSMETIK INTERNATIONAL: Rechnen Sie mit zahlreichen Schließungen von Spas und Anlagen oder birgt die Krise Ihrer Meinung nach auch eine Chance für die Branche?

LUTZ HERTEL: Das gerade verabschiedete Konjunkturpaket wird sich meiner Meinung nach nicht gravierend auf die in Not geratenen Spa- und Wellness-Betriebe auswirken. Im Einzelfall hängt viel davon ab, wie gut die Betriebe vor der Coronakrise gewirtschaftet haben, wie viel Unterstützung jetzt von den Kreditgebern kommt und wie schnell der Normalbetrieb und die Normalauslastung wieder erreicht werden können. Eine Chance sehe ich für die gesamte Branche darin, ihren Leistungen und Angeboten einen echten Wellnesswert zu geben, der von den Gästen auch honoriert wird. Viele der großen Wellnesshotels haben zum Beispiel mit ihren milliardenschweren Investitionen der vergangenen Jahre in kostspielige Spa-Hardware investiert und dabei das Thema Wellness aus den Augen verloren oder noch gar nicht begriffen. Millionen Deutsche haben sich auf der anderen Seite während des Corona-Lockdowns selbst um ihre Wellness gekümmert und sind auf den Geschmack gekommen. Wellness erweist sich als essenziell, Spa nicht. Jetzt wäre ein perfekter Zeitpunkt, sein Betriebskonzept zu überdenken und endlich Wellness-Angebote zu entwickeln, mit denen sich auch Geld verdienen lässt, selbst im Falle einer möglichen nächsten Pandemie.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Spa-Betreibern und Behandlern in Bezug auf die allgemeine Situation und das Verhalten der Kunden/Gäste?

LUTZ HERTEL: Das ist recht unterschiedlich. Nachdem Kosmetikstudios, Massagepraxen, Spas und Wellnesshotels wieder geöffnet haben, läuft es bei den einen nur sehr zögerlich wieder an und bei anderen ist der Ansturm sofort groß. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle und es liegt sicherlich nicht immer an Fehlern auf der Betreiber- und Behandler-Seite. Der Umgang mit den Schutzmaßnahmen ist zum Teil eine echte Herausforderung. Zum Beispiel gibt es immer wieder Gäste, welche es ablehnen, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Denen müsste konsequenter Weise eine Absage erteilt oder der Weg zur Tür gezeigt werden. Ich erfahre von manchen Betrieben aber, dass man die uneinsichtigen Gäste bzw. Kundschaft gewähren lässt, aus der Angst heraus, sie zu verlieren.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Wie unterstützt der Deutsche Wellness Verband seine Mitglieder und die Branche in diesen schweren Zeiten?

LUTZ HERTEL: Wir haben unsere Mitglieder in vielen Einzelgesprächen von Beginn an beraten. In unseren Fachgruppen, z.B. im Spa Manager Circle, wurden Video-Meetings veranstaltet, um Informationen, Erfahrungen und Lösungen auszutauschen. Wir haben für Betriebe mit dem Angebot von Wellnessmassagen ein Hygiene- und Infektionsschutz-Musterkonzept erarbeitet und zur Verfügung gestellt, das vielen unserer Mitglieder sehr geholfen und viel Arbeit erspart hat. Über unsere Website und Social Media haben wir mit Beginn des Lockdowns eine Wellness@Home-Initiative gestartet und unseren professionellen Mitgliedern dabei die Gelegenheit gegeben, ihre Tipps in Hinblick auf Haut- und Körperpflege, gute Ernährung, Fitness und Umgang mit Stress in Form von Texte, Fotos und Videos zu teilen. Das war eine sehr gelungene Aktion, sowohl für das Marketing unserer Mitglieder, als auch für die Zielgruppen, die mit zahlreichen guten Anregungen versorgt wurden. Wir haben uns auch viel mit den für die Wiederöffnung wichtigen Hygiene- und Infektionsschutzmitteln befasst. Gerade sind an alle Mitglieder, die es betrifft, Produktmuster von Masken versendet worden, die mit Sonderrabatt von einem unserer Fördermitglieder erworben werden können. Das Tragen der Schutzmasken wird für die Wellness- und Spa-Betriebe sicherlich noch einige Zeit ein Thema bleiben.


KOSMETIK INTERNATIONAL: Würden Sie selbst derzeit mit gutem Gefühl ein Spa oder eine Therme besuchen?

LUTZ HERTEL: Ich habe mich jetzt drei Monate lang intensiv mit der Coronavirus-Thematik und der damit verbundenen Forschung beschäftigt. Da ich selbst zwanzig Jahre im gesundheitlichen Bereich tätig war und eine wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen habe, sind mir die Warnungen und Vorsichtsmaßnahmen gegenüber SARS-CoV-2 vor dem Hintergrund der bisherigen seriösen Forschungsergebnisse und der Erfahrungen auf den Intensivstationen der Krankenhäuser nachvollziehbar und ohne Abstriche gerechtfertigt. Weil ich nicht zu den unbekümmerten Menschen gehöre, vermeide ich weiterhin grundsätzlich fast alle nicht notwendigen Aktivitäten außerhalb meiner eigenen vier Wände. Den Besuch eines kleinen Spa-, Kosmetik- oder Massagebetriebs, den ich kenne, würde ich aber nicht ausschließen. In einer Therme würde ich zum jetzigen Zeitpunkt den unbeschwerten Aufenthalt vermissen und auch die vollständige Nutzung aller Einrichtungen und Attraktionen, insbesondere des Saunabereichs. Die Gewährleistung eines hinreichenden Infektionsschutzes in Bezug auf das SARS-CoV-2 Virus in öffentlichen Saunakabinen erscheint mir persönlich im Moment noch fragwürdig.


Lutz HertelLutz Hertel, Diplom-Psychologe und seit 30 Jahren Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wellness Verbands. Nach Universitätsstudium in Konstanz, Marburg und Aachen bis heute selbständige Tätigkeit in der Personal- und Organisationsentwicklung mit Spezialisierung auf Gesundheitskompetenz und Gesundheitsmanagement. 1990 Gründung des Deutschen Wellness Verbands. Forschungszusammenarbeit mit der Universität Düsseldorf zur Bedeutung des Lebensstils für Herzerkrankungen. 1997 Aufbau der ersten Wellnesshotel-Kooperation in Deutschland. 2002 Markteinführung des Qualitätssiegels Deutsches Wellness Zertifikat. 2009 Start der Marketing-Kooperation Premium Selection Fine Hotels & Spas. Zahlreiche Beiträge, Projekte und Initiativen zur Förderung qualifizierter Wellnessangebote.


Fördermitglieder