Wellness-Beiträge



Wellness – Weitaus mehr als praktizierter Hedonismus

Ein konstruktives Plädoyer für gesundheitstouristischen Zukunftsszenarien
(Cassens, M.; Meyer, W.; Dohnal, K.; Stosiek, N.)

Die Veränderungen von Berufs- und Arbeitswelt haben viele Folgen. Beschleunigung auf allen Ebenen unter dem Credo von Effizienzsteigerung hat neben den zweifelsohne vorhandenen ökonomisch positiven Auswirkungen auf Mensch und Umwelt deutlich negative Effekte auf beides. Daher wächst die Zahl von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen (1). Eine zentrale Frage drängt sich bezüglich dieses Wandels für die Gestaltung zukunftsfähiger Wellness-Angebote auf: Ist Wellness-Tourismus mit seinen „Subspezies“ Patiententourismus und Medical Wellness in der Lage, hinsichtlich der wirksamen Prävention psychischer Erkrankungen einen effektiven und nachhaltigen Beitrag leisten zu können?

Einige einführende Anmerkungen: Modelle haben oftmals vereinfachenden Charakter im Kontext komplizierterer Zusammenhänge (2). In den Gesundheitswissenschaften, auf die sich u.a. der Deutsche Wellnessverband beruft (3), dominiert das „Salutogenese-Modell“ Antonovsky´s (4). Im Wesentlichen basiert dieses Modell auf einer Anzahl von Schutz- und Risikofaktoren5, welche in ständiger Interaktion stehen. Im Gesundheitstourismus wurde basierend auf diesem evidenzbasierten Modell Antonovsky´s das Illness/Wellness-Continuum-Modell entwickelt6. In Konsequenz dieser Modelle kann einerseits festgestellt werden, dass niemand „ganz krank“ bzw. „ganz gesund“ ist (7). Andererseits kann man selbst mit dem Aufbau von gesundheitsfördernden Schutzfaktoren, den „generalized resistance resources“8, die eigene gesundheitliche Karriere hinsichtlich des Aufbaus von Schutzfaktoren beeinflussen. All dies ist bekannt und wird seit den Hochkulturen der Hellenen und Römer in Europa praktisch umgesetzt. Ruinen von Bädern und Thermen dokumentieren in ihrer noch vorhandenen Architektur den erstaunlich hohen Standard einiger Anlagen dieser Hochkulturen. Aktuell beschäftigen sich viele Disziplinen der Gesundheitswissenschaften im Kontext des Wellness-Begriffs mit Möglichkeiten, wie vornehmlich physiologische und Ernährungsprävention unter den Bedingungen der Jetzt-Zeit touristisch umsetzbar ist. Vergessen werden sollte im Sinne des ganzheitlichen Modellansatzes aber nicht, dass es aufbauend auf dieser sog. Wellness-Stufe 19 eine weitere gibt, bei der die Psyche und die (Sozial-)Ökologie akzentuiert werden. Denn, so die Theorie, basierend auf dem eigenen Wohlgefühl der ersten Wellness-Stufe ist es im Sinne von Ganzheitlichkeit durchaus anzustreben, protektiv im Sinne psychischer Schutzfaktoren und der der sozialen Umwelt zu agieren. Genau in diesen touristischen Marktsegmenten Gesundheits-, Bildungs- und Selbstfindungstourismus sehen die Experten daher auch die Wachstumssegmente (10).

Im Gesamtkontext des Präventionsbegriffs geht man hinsichtlich „Gesundheitsförderung“ seit Etablierung der „New Public Health“ in den 1980er Jahren11 davon aus, dass diese u.a. durch Gesundheitsbildung (Erwachsene und Jugendliche) und –erziehung (Kinder) in sog. Settings umgesetzt werden. Der Anglizismus „“Setting“ wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO auf diejenigen Situationen eingegrenzt, in denen Personen zielorientiert Lebenssituationen wie Lernen, Arbeiten oder Spielen wahrnehmen. Als Settings der Gesundheitsförderung werden in der Literatur vor allem Familien, Schulen, Betriebe und Kommunen genannt (12). Erstaunlich ist, dass bei der individuellen Bedeutung von Urlaub und Ferien dieses Setting bislang nahezu keine systematische Berücksichtigung findet – weder in der wissenschaftlichen Reflektion, noch in der zielstrebigen Anwendungspraxis.

Das betrifft vor allem die Wellness-Stufe 2, also die psychischen Aspekte von gesundheitlicher Wellness. Der (touristische) Bedarf ist nicht nur da, sondern eher extrem hoch. So ergab beispielsweise eine in mehreren europäischen Ländern durchgeführte Längsschnittstudie13 bezüglich der Symptomatik „Depression“, dass, ohne an dieser Stelle den Begriff näher zu erörtern, 17% der Bevölkerung für einen zurückliegenden Zeitraum von 6 Monaten angab, unter einer Depression gelitten zu haben; 6,9 von diesen 17% sogar unter der Symptomatik einer sog. Major Depression. Das Problem, um diesbezüglich jedoch im touristischen Setting, z.B. in Form von Medical Wellness und Patiententourismus, aktiv werden zu können, liegt jedoch auf der Hand: Lediglich in 12 von 100 tatsächlich diagnosefähigen Fällen kommt es zum Patientenbesuch bei einer Spezialistin oder einem Spezialisten. Eine derart hohe Dunkelziffer führt weg von touristisch bereits vorhandenen „Angeboten zur Burnout-Prävention“. Diese deuten eher auf ausschließlich kommerzielles Interesse an einer neuen „Marktnische“ hin, nicht jedoch auf seriöse Angebote mit Zukunftspotenzialen. Ein diesbezüglich in die Zukunft weisendes Schlagwort lautet „Barrierefreiheit“: Es gilt, touristische Settings zu schaffen, die Gesunden, Gefährdeten und Patienten im Rahmen der Fortsetzungs- und Erhaltungstherapie derlei Angebote suchen, interessante Inhalte in allen integrierende Settings zu bieten.

Zukünftig zunehmend benötigte touristische Angebote im Bereich der Burnout- und/oder Depressionsprävention erfordern nicht nur die intensive Integration von Psychotherapeutinnen und –therapeuten. Sie bedürfen als touristische Konzepte im Setting in diesem Sinne eines methodisch abgesicherten Vorgehens aller agierenden Personen. Je mehr sich Tourismus in die Richtung medizinischen Handelns bewegt, umso deutlicher ist daher die Kooperation mit diesbezüglich qualifiziertem Fachpersonal indiziert. Durch die zunehmende Europäisierung der Gesundheitsstrategien und die Öffnung der Systeme über Ländergrenzen hinweg stellt der internationale Kontext ein wesentliches Element der Strategieentwicklung dar. Dabei stehen auch Ärzte als überdurchschnittlich von Burnout betroffene Zielgruppe14 ebenso im Fokus wie deren Patienten.


Anmerkung zu den Autoren:
Dr. Manfred Cassens ist Clubobmann des in Scharnitz/Tirol ansässigen Vereins „Institut für Gesundheitswissenschaften“. Er ist habilitierender Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr München im Bereich Gesundheitswissenschaften und Geschäftsführer des in der Bauplanung befindlichen Gesundheitszentrums Refugio in Reith b. Seefeld/Tirol. Dr. Wolfram Meyer ist Patentprüfer am Europäischen Patentamt im Bereich Life Sciences und arbeitet ebenfalls im Institut für Gesundheitswissenschaften und ist für Evidenzbasierte Evaluationen zuständig. Dir. Kurt Dohnal ist derzeit Hotelmanager in Pörtschach am Wörthersee und ist u.a. dreifach als Hotelier des Jahres ausgezeichnet worden. Dr. Nikolaus Stosiek ist derzeit Lehrbeauftragter an der Universität Bamberg und der Ohm-Hochschule Nürnberg und selbständiger Facharzt für Dermatologie und ebenfalls im Scharnitzer Institut forschend tätig.

Literatur:
1/ Schüren, C. (2010) Reisen in 20 Jahren: regionaler, ökologischer – und teurer. In: Welt am Sonntag Nr. 38 v. 19.09.2010
2/ Zentrum der Bundeswehr für Transformation (2010). Was ist ein Modell? Verfügbar unter: http://www.zentrum-transformation.bundeswehr.de/portal/a/ztransfbw/uber_uns/aufbauz/abteilun2./tour?
/tour?yw_contentURL=/01DB040600000001/W27DXETP853INFODE/content.jsp. Abgerufen am 20.09.2010
3/ Deutscher Wellness Verband (2010). Gesundheitswissenschaftliche Orientierung – Wir wollen, dass Wellness als „genussvoll gesund leben“ verstanden wird. Verfügbar unter: http://www.wellnessverband.de/wir_ueber_uns/leitbild.php. Abgerufen am 20.09.2010
4/ Antonovsky, A. (1997). Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag
5/ Antonovsky, A. (1997). Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag, S. 25 - 25
6/ Benewitt, N. (2002). Neue Perspektiven für den Kurort. In: Berg, W. (2008): Gesundheitstourismus und Wellnesstourismus. München: Oldenbourg. S. 15
7/ Hurrelmann (2006). Gesundheitssoziologie – Eine Einführung in sozialwissenschaftliche Theorien von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. Weinheim und München: Juventa. S. 117
8/ Antonovsky, A. (1997). Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag. S. 43
9/ Berg, W. (2008): Gesundheitstourismus und Wellnesstourismus. München: Oldenbourg. S. 12
10/ Schüren, C. (2010) Reisen in 20 Jahren: regionaler, ökologischer – und teurer. In: Welt am Sonntag Nr. 38 v. 19.09.2010
11/ Hurrelmann, K., Laaser, U. & Razum, O. (2006). Handbuch Gesundheitswissenschaften. 4. vollständig überarbeitete Auflage. München: Juventa Verlag. S. 15 - 17
12/ Naidoo, J. & Wills, J. (2010). Lehrbuch der Gesundheitsförderung. Gamburg: Verlag für Gesundheitsförderung. S. 309 f. Auch: Hurrelmann, K.; Klotz, T. & Haisch, J. (2009). Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung. 2., überarbeitete Auflage. Bern: Huber
13/ Segal, Z.V.; Williams, J.; Teasdale, J. (2008). Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression. Ein neuer Ansatz zur Rückfallprävention. Tübingen: dgvt-Verlag. S. 25
14/ Meyer, P. (2009): Burn-out bei Ärzten: „Die schlimmste Zeit meines Lebens“. Deutsches Ärzteblatt 2009; 106(7): A-292 / B-250 / C-242

  Zurück zur Übersicht

Fördermitglieder