Wellness-Beiträge



Ein bisschen Spa muss sein

Lass mal los, schwitz dich frei, spül dich durch – warum die Deutschen ständig nach Entspannung suchen.

Von Petra Kistler, Badische Zeitung, 15.11.2010

Die Deutschen sind ganz verrückt auf Wellness: Mehr als 70 Milliarden Euro setzt die Wellness-Industrie jährlich um. Das Beste dabei: Der abgenudelte Begriff nutzt über die Jahre offenbar kaum ab. Ein Blick in die Branche, die dem Betrachter manchmal ein bisschen wunderlich vorkommt.
Es kostet ein wenig Überwindung, frühmorgens das Kingsize-Bett zu verlassen, in den etwas kratzigen Baumwollanzug zu schlüpfen und – nur eine Tasse Tee im Magen – in den indischen Morgen zu starten. Doch wer im "Swaswara” verschläft, und das kann leicht passieren, weil die Nächte wunderbar still sind, verpasst die Yoga-Stunde, mit der jeder Tag beginnt: Um 7 Uhr für die Geübten, um 8.15 Uhr für Anfänger.

"Ihr müsst lächeln, nicht kämpfen", ermuntert Raghunathan, der fadendünne Yogalehrer, seine Schüler, die mehr oder minder angestrengt versuchen, ihre Knie an die Ohren zu bringen. "Das Atmen nicht vergessen." Ob Kobra, Kamel oder Sonnengruß, die verschlafenen Glieder werden behutsam gestreckt, der Rücken gestärkt, was am nächsten Tag ein kleiner Muskelkater beweist. Nach einigen Minuten im Lotussitz brennen die Schenkel. Raghunathan, ein ehemaliger Anwalt, kann nicht nur stundenlang so sitzen und dabei auch noch lächeln. Er schwebt fast in der Luft – gestützt von drei Fingern. "Mein Meister kann diese Übung mit einem Finger", sagt Raghunathan sanft. "Vertraut euch, ihr schafft es. Und wenn nicht morgen, dann vielleicht übermorgen oder in einem Monat."

Swaswara liegt gut drei Stunden südlich vom indischen Hippieparadies Goa. Swa bedeutet im Sanskrit Selbst, Swara Klang. Der Name ist Programm: Die Gäste sollen dem Klang der eigenen Stimme lauschen – ob beim Yoga, beim Singen von Mantras oder bei der Meditation. Man kann das alles ausprobieren, muss aber nicht. Man kann auch einfach nur am Pool liegen, einen Malkurs besuchen, sich massieren lassen oder am Om-Strand spazieren gehen. Der heißt wirklich so!

Mit Wellness verkauft sich alles viel leichter.

Um in die Wellnesswelt einzutauchen, muss man nicht unbedingt die eigene Ökobilanz mit einem Flug nach Goa belasten. Wem mehr nach "Dynamic Wellness" ist, bekommt dergleichen auf der rauen Baar geboten. In Baiersbronn setzen einige Wirte auf das Wirken eines Wanderbaders, der seine selbst gezimmerten Holzzuber mitbringt. Ein Hotel am Schluchsee wirbt mit dem Ausgleich der Säure-Basen-Balance, andere versprechen Wohlbefinden dank Lachyoga oder Eselsmilch. Die Mosel lockt nicht nur mit hervorragendem Riesling, sondern auch mit authentischer Ayurveda, die den lästigen Tinnitus vertreiben soll. Und wer zur klassischen Kneippkur spirituelle Begleitung schätzt, ist bei den Schwestern im Kloster Arenberg gut aufgehoben.

Es gibt Hotels, die bieten eine Weltreise in Sachen Wellness an einem Wochenende an: Nach dem "Kleopatrabad" wechseln die Gäste Kabine und Kontinent, entschweben bei einer von hawaiianischen Gesängen begleiteten Lomi-Lomi-Tempel-Massage, lassen sich beim japanischen Reiki die Hand aufs Herz legen oder versuchen mittels eines indianischen Schamanenrituals ihre Seele ins Gleichgewicht zu bringen oder begeben sich auf die Suche nach dem individuellen Glück. Wer es gerne weniger esoterisch hätte, bucht Medical Wellness, der Rettungsanker für die unter der Gesundheitsreform leidenden Kur- und Heilbäder. Dann entscheidet der Arzt mit Hilfe eines "Bodychecks", was einem gut tut.

Ob Kuschelsocken oder Anti-Erdstrahlen-Gerät, was immer sich auf dem Markt durchsetzen soll, wird als Wellness-Produkt angeboten. Wer den Begriff im Internet sucht, hat die Auswahl aus 123 000 000 Stichwörtern. Das ist ganz schön viel für ein Wort, das in Europa erst in den achtziger Jahren bekannt wurde und in den Neunzigern seinen Siegeszug durch die Hotellerie antrat. Der Begriff selbst, "waelnesse" in Shakespeares schönem Englisch, ist mehrere hundert Jahre alt und meinte schlicht gute Gesundheit.

Das Zeitgeistphänomen Wellness beruht auf dem Konzept des passiven Wohlbefindens und markiert damit die Grenze zur Fitness. Wellness ist das Gegenstück zum stressigen, arbeitsamen Alltag: Einfach mal nichts tun. Gewiefte Wellnesser – in der Regel weiblichen Geschlechts – sind Meister in der Kunst, sich massieren, pediküren oder kopfhautkraulen zu lassen. Okay, manche versuchen im Gymnastikraum Bauch, Beine und Po in Form zu bringen. Am liebsten lassen die Wellnesser aber die Schweißdrüsen für sich arbeiten, spülen ihr Innerstes mit Molke oder Glaubersalz sauber. Wer diese Tortur überstanden hat, fühlt sich ohnehin schon besser und schwärmt von innerer Einkehr und Reinigungsritual. Und wartet auf die nächste Wohltat.

Die Branche funktioniert ein wenig wie der mittelalterliche Ablasshandel: Wer eine Menge Geld ausgegeben hat, hat auch das beruhigende Gefühl, sich etwas Gutes gegönnt und in seine Gesundheit investiert zu haben. Dabei sind an einem schnellen Wochenende mehr als ein paar oberflächliche Streicheleinheiten überhaupt nicht möglich. Die können nützen – auch in der Schulmedizin hat der Placebo-Effekt seine Berechtigung. Zudem hat eine Studie im Auftrag der US-Behörde Centers für Disease Control ergeben, dass Streicheln durchaus als Vorbeugung gegen das ein oder andere Zipperlein hilft. "The guests need love", die Gäste brauchen Liebe, sagt ein indischer Doktor, der sich darüber wunderte, dass die deutschen Gäste so gierig nach Massagen sind.

Nicht alles ist spektakulär. Und schon gar nicht neu. Wenn sich die Menschen früher kurz entspannten, hieß das Mittagsschlaf. Heute firmiert dies unter Powernap. Und manches, dass unter dem Label Wellness angeboten wird, ist schlichter Wellnepp. Lutz Hertel, Diplompsychologe und Vorsitzender des deutschen Wellnessverbands, hält die teuer angebotene Klangschalentherapie für Hokuspokus. Asiatische Klangschalen werden dabei auf den Rücken aufgelegt und angeschlagen wie ein Gong. Die Vibrationen lösen angeblich Verspannungen und befreien von Ängsten. "Die Klangschalen sind ein Kochgeschirr, das aus Asien importiert wird", verrät Hertel. "Diese Therapie ist eine freie Erfindung von Geschäftemachern." Auch Wellness-Stars, Aphroditen und anderen Auszeichnungen kann nur bedingt vertraut werden. Die Auszeichnungen sind oft mehr Marketinginstrument als Ergebnis unabhängiger Tests.

Die wirksamste Formel für einen erfolgreichen Wellnessbereich besteht aus regionalen Produkten (Wiesenkräuter, Moor oder Molke in der Kosmetik, heimisches Holz als Baustoff) und einem globalen Überbau. Ob Feng-Shui, Yoga, Ayurveda, Hsin Tao, Zen-Meditation oder indianische Schwitzhütte – es gibt keinen Erdteil, aus dem sich nicht eine Wellnessdosis importieren lässt. Das Schlüsselbild ist eine glückliche Patientin, der aus einem Topf warmes Öl über Stirn und Haar rinnt und symbolisch den Dreck der Zivilisation abspült.

Das Erfolgsrezept: regionale Zutaten, globaler Überbau

Die Zeit der mit pseudotoskanischen Pomp geschmückten Beautyfarmen scheint vorbei zu sein. Reduktion ist neuerdings angesagt. Klare, in der Formensprache reduzierte Wasserlandschaften, in denen jedes Detail stimmt. Spas, bei deren Anblick sich bereits die Nackenmuskeln entspannen. Die Menschen wollen wieder das Einfache, Reduzierte entdecken: Weniger essen, gut schlafen und nicht dauernd an den Beruf denken. Sie wollen einer fremdbestimmten, gnadenlos beschleunigten Arbeitswelt entfliehen. Und wenn es nur für ein Wochenende, für einen Urlaub ist.

Auch das Swaswara funktioniert nach der Devise "weniger ist mehr". In den Zimmern findet sich kein Tinnef, nichts, was das Auge anstrengt. Einen Fernseher sucht der Gast vergebens. Die Bäder sind nur teilweise überdacht, geduscht wird unter freiem Himmel. Das Essen stammt aus streng biologischem Anbau.

Es ist die Mischung von Askese und Luxus, die die – meist weiblichen– Gäste im Swaswara suchen. Spas wie diese sind wie ein goldener Käfig, in dem es ja auch ganz angenehm sein kann. Daheim üben sie noch einige Wochen, ob sie ihre Knie nicht doch ans Ohr bringen. Meister Raghunathan erinnert sie alle paar Wochen daran – per Mail.


WELLNESS-SÜNDEN: Acht Dinge, die Wellness-Gäste ärgern

  • Sphärenklänge und Vogelgezwitscher vom Band im Behandlungsraum, wo man doch endlich mal ausspannen und dösen wollte.
  • Unentwegt quasselnde Masseure und arrogante Kosmetikerinnen.
  • Überteuerte Behandlungen: Ein Euro pro Minute Behandlung gilt als vernünftiger Richtwert.
  • Hochstapeleien: Wellness ist keine Medizin.
  • Verkaufsgespräche nach dem Muster von Kaffeefahrten. Nein, wir wollen weder das sündhaft teure Anti-Aging-Mittel noch die angebliche Wundercreme kaufen.
  • im Wochenendschnellkurs ausgebildete Mitarbeiter, denen die notwendige Sachkenntnis fehlt.
  • Ideologen, die ihre Sicht auf die Welt gerne den Gästen überstülpen wollen. Nicht jeder muss vegan leben, von Edelstein angeblich belebtes Wasser trinken und am Morgen eine Viertelstunde auf dem Kopf stehen.
  • Überdekorierte Spas mit künstlichem Efeu und Heuballen, auf denen sich gern der Staub sammelt.

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