Wellness-Beiträge



Wellness – Das Widerstandsprogramm gegen den Alltagsstress

Ein Beitrag von Dr. Eva Tenzer, erschienen in: Psychologie heute, August 2003

Wellness ist ein Modethema für Frauenzeitschriften und Werbestrategen. So denken viele. Und irren sich. Wie neuere Umfragen zeigen, nutzen die meisten Menschen Wellnessangebote wie Ayurveda oder Aqua-Balancing, Yoga oder Aromamassage, um sich körperlich und seelisch widerstandfähiger zu machen. Wellness ist eine Art Therapieersatz und ein geeignetes Mittel für das Selbstmanagement.



Die Umsätze der Wellness-Branche steigen wie ein Thermometer in der Sauna, während durch weite Teile der Wirtschaft ein kalter Wind weht. Wen wundert das bei diesen Versprechungen: Wellness soll aus Lebenskrisen helfen, länger jung halten, für den harten Arbeitsalltag fit machen, zu mehr Sinnlichkeit und neuer Lebenslust verhelfen.
 
Viele der Verwöhnprogramme von Aqua-Balancing bis Zupfmassage sind eigentlich alte Hüte: Schon die Römer ließen sich in Dampfbädern massieren. Die Orientalen taten es ihnen in den Hamams nach. Die Inder kennen mit dem Ayurveda seit Jahrtausenden typgerechte Wellness-Kuren. Und die Skandinavier entwickelten mit ihrer Saunakultur einen frühen Prototypen der Wellness-Oase. Der moderne Kopfmensch hat hier offensichtlich wieder Nachholbedarf. Sein verspannter Muskelapparat erinnert ihn täglich daran, dass ihm Bewegung fehlt. Stress nagt an den Nerven, Fehlhaltungen schmerzen, Speckröllchen wachsen. Wellness ist gefragt, weil vielen Menschen Körpergefühl und Sinnlichkeit abhanden gekommen sind: Wo im Alltag keine Zeit bleibt für Düfte, leise Klänge, lange Bäder und intensive Berührungen, keimt die Sehnsucht nach Wellness.

Zwar reagieren viele längst allergisch auf den Begriff und halten Wellness für ein inhaltsloses Allerweltsetikett, mit dem vor allem die Werbung gerne hausieren geht. Für andere aber ist Wellness eine Art Lebenselixier und ein Widerstandskonzept gegen den stressenden Alltag. Hier entsteht zunehmend eine Gegenwelt zur urbanen Reizwelt. Eine  Delphi-Studie der Heidelberger Gesellschaft für Innovative Marktforschung (GIM), für die 24 Experten aus verschiedenen Fachbereichen nach Zukunftswerten befragt wurden, zeigte, wie hoch die Ansprüche an die kleine Wellness-Flucht aus dem Alltag sind: Demnach steht Wellness für ganzheitliches Wohlbefinden, für Genussfähigkeit und einen pfleglichen Umgang mit sich selbst. Wellness soll das Verhältnis zu sich, aber auch zu anderen verbessern. Es verspricht Entspannung, Harmonie, Erholung sowie Stressbewältigung. Und es kommt der Sehnsucht nach einer Balance von Körper, Geist und Seele entgegen.

Fragt man, was Kunden konkret von Wellness erwarten, fällt auf, dass die Psyche eine zentrale Rolle spielt. Das zeigte auch eine Umfrage der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Im Auftrag der Zeitschrift Journal für die Frau wurden 1060 Frauen nach ihren Assoziationen zum Begriff Wellness befragt. Psychologische Motive rangierten weit oben: Zufriedenheit und Lebensfreude, Selbstbewusstsein, Sinnfindung und Selbstverwirklichung. Viele versprechen sich eine „seelische Veränderung“. Und rund 95 Prozent der Befragten verbinden mit Wellness vor allem „Verwöhnen“ und „Sich-etwas-gönnen“. Die Werbung bedient solche Sehnsüchte nach Kräften und lockt mit Formeln wie „Lassen Sie die Seele baumeln“, „Trinken Sie aus der Quelle innerer Kraft“, oder „Endlich Zeit für Gefühle“.

Diese psychischen und emotionalen Motive sind aus Konzepten der Gesundheitspsychologie längst bekannt. Die österreichische Psychologin Elisabeth Honemann ist deshalb überzeugt, dass Wellness im Grunde klassischen Aufgaben der Gesundheitspsychologie entspricht: „Übersetzt man die Wellnessangebote in psychologische Begriffe und Konzepte, geht es dabei um Ziele wie Stressverarbeitung, erlebte Selbstwirksamkeit, um Vitalität und Genussfähigkeit. Auch ein positives Selbstkonzept spielt eine wichtige Rolle.“ Honemann sieht deshalb keinen Grund, den Boom als Geldmacherei oder Hysterie einer gestressten Schickeria abzutun: „Mag man den Wellness-Boom auch eher kritisch sehen, so dürfen wir doch nicht übersehen, dass hinter den Umsatz- und Buchungszahlen der Wunsch nach mehr Wohlbefinden, nach Erholung und einem besseren Umgang mit Belastungen steht.“ Auch Lutz Hertel, Psychologe und Vorsitzender des Deutschen Wellness-Verbandes, ist dieser Ansicht: „Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren die Erfahrung gemacht, dass Wellness im innersten Kern ein rein psychologisches Thema ist.“

Wellness muss eine enorme Bandbreite an seelischen Bedürfnissen befriedigen, bei denen sich längst nicht mehr alles nur um das momentane Wohlbefinden alleine dreht. Zu diesem Schluss kommt die Delphi-Studie der GIM: Als eine Art Therapieersatz soll Wellness neue Kraft und Lebensfreude schenken, Zuwendung und ein gutes Körpergefühl vermitteln und auch noch bei der Suche nach Sinn und Identität behilflich sein. Auf der körperlichen Ebene soll es eine aktive, selbstverantwortliche Gesundheitsvorsorge sein: „Es gilt zunehmend, die Ressourcen für ein erfolgreiches und erfülltes Leben sicher zu stellen. In diesem Zusammenhang wird Wellness immer stärker als Mittel für das Selbstmanagement betrachtet“, fasst Godehart Wakenhut, Studienleiter bei der GIM, die Ergebnisse zusammen. Konsumenten sehen Wellness heute auch als Weg zur Selbstoptimierung und damit als Schlüssel für ein erfolgreiches Leben. In ihren Vorstellungen schafft es nicht nur Wohlgefühl und Entspannung, sondern auch Leistungsfähigkeit und „Performance“ nach außen.

Info-Box: Der Ursprung des Wellness-Begriffs

Wellness seit 1654

Der Begriff Wellness ist viel älter als man angesichts der Modernität des Booms vermuten könnte: Er tauchte schon 1654 in einem englischen Lexikon auf und meinte dort so viel wie „Wohlbefinden“ und „gute Gesundheit“. Populär wurde der Ausdruck aber erst durch den amerikanischen Arzt Halbert L. Dunn. Er machte ihn in den Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Schlagwort einer neuen Gesundheitsbewegung. Dunn versuchte, Laien und Fachkollegen vom Nutzen eines gesundheitserhaltenden Lebensstils zu überzeugen. Seine Gesundheitsphilosophie nannte er „High Level Wellness“ und meinte damit einen eigenverantwortlichen Lebensstil, der die Gesundheit optimal fördern soll. In den Siebzigern fand der Wellness-Begriff in den USA größere Verbreitung und schlägt seit den Neunzigern auch in Deutschland Wurzeln. Bei einer repräsentativen Befragung von 1060 Frauen gaben 82 Prozent an, den Begriff zu kennen.

Mit dem Boom stellt sich freilich die Frage, warum eigentlich große Teile unserer Gesellschaft in diesem enormen Maße Genuss und Verwöhnung suchen. Warum wird Wellness am Anfang des 21. Jahrhunderts zum Mega-Trend, der viele andere Bereiche der Wirtschaft abhängt? Vor allem drei große gesamtgesellschaftliche Trends stehen nach Meinung des Frankfurter Soziologen und Zukunftsforschers Matthias Horx mit dem Wellness-Boom in Verbindung: die Individualisierung, die Notwendigkeit einer eigenverantwortlichen Gesundheitsvorsorge und moderne Arbeitsformen. Sie fordern vom Individuum: Halte dich seelisch und körperlich fit! - Wer die Woche über einen hohen Leistungspegel hält, kümmert sich am Wochenende ebenso aktiv und eigenverantwortlich um seine Regeneration. So sichert Wellness die persönlichen Ressourcen und damit auch die Zukunftsfähigkeit. Ähnlich lautet ein Fazit der Heidelberger Delphi-Studie: „Gesundheitsförderung bedeutet letztlich Pflege des immer wichtiger werdenden Humankapitals.“ Demnach bildet Wellness psychisches und körperliches Kapital und wäre darin etwa vergleichbar mit dem lebenslangen Lernen.

Der Wellness-Trend dürfte also in den kommenden Jahren weiter zunehmen, weil er einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Orientierung entgegenkommt: Er vereinigt Leistungswillen und Lebensgenuss.
Und noch eine gesellschaftliche Entwicklung wird für eine Fortsetzung des Booms sorgen: Die Menschen leben immer länger, viele in gesicherten finanziellen Verhältnissen und mit großem Interesse an gesundheitlicher Vorsorge. Und gerade diese Gruppe von Älteren bildet einen eigenständigen Typus in der Masse der Wellness-Konsumenten, wie eine Schweizer Studie am Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Universität Bern ergab. Eveline Lanz Kaufmann befragte die Gäste eines Wellness-Hotels und konnte aus den Daten verschiedene Wellness-Typen herausschälen.
Die betreuungsintensiven Gesundheitsgäste machen etwa 20 Prozent aus. Sie legen vor allem Wert auf eine individuelle medizinische Beratung und therapeutische Fachkompetenz. Man erkennt in ihnen den traditionellen Kurgasttyp wieder. Ihr Durchschnittsalter ist höher als das der übrigen Wellness-Konsumenten. Und sie nutzen die Angebote gerne und ausgiebig, obgleich sie lieber auf allzu exotisches verzichten.

Auch die wachsende finanzielle Unabhängigkeit von Frauen dürfte dafür sorgen, dass der Trend weitergeht, stellen sie doch die Hauptkundschaft. In der Befragung von Lanz Kaufmann bildeten die anspruchsvollen Gesundheitsgäste mit rund 40 Prozent die größte Gruppe. Sie legen besonderen Wert auf eine intensive Betreuung  und auf umfassende Informationen. Dreiviertel dieser Gruppe sind weiblich. Sie sind eher jünger als der Durchschnitt, gleichzeitig aber überdurchschnittlich stark an Gesundheitsfragen interessiert. Dennoch dürfte auch das wachsende Gesundheitsbewusstsein von Männern dem Boom in den kommenden Jahre weiter anheizen. Sie brauchen allerdings andere Angebote als Frauen, wie die Schweizer Studie ergab. Denn Männer zählen überdurchschnittlich häufig zur Gruppe der selbstständigen Infrastrukturbenutzer. Diese Gruppe legt keinen Wert auf Betreuung oder Beratung und nutzt lediglich die Einrichtungen wie Sauna, Whirlpool oder Dampfbad. Tipps zu Ernährung, Entspannung oder kulturelle Angebote lassen sie links liegen.

Aber kann Wellness all die Ansprüche der unterschiedlichen Gruppen überhaupt erfüllen? Wie sieht es mit der Verwirklichung der Wünsche, Sehnsüchte und Fantasien aus? Und: Lassen sich Genuss und Wohlbefinden überhaupt messen? Wie nützlich sind exotische Angebote wie Tuina, Bikram oder Pizzichilli? Entspannt eine Farblichttherapie besser als eine Körperschalltherapie? Tut mir eine Aromatherapie besser als eine Cranio-Sacrale? Lutz Hertel ist sicher: „Wir brauchen dringend mehr Experten, die Methoden auf den Prüfstand nehmen und Nepp entlarven“. – Gäbe es da nicht eine gewisse Berührungsangst der Wissenschaftler: „Wellness hat immer noch den Touch von Marketing und Frauenzeitschrift. Klinische Psychologen halten sich bei diesem Thema auffallend zurück“, kritisiert Hertel.

Dabei hätten gerade die Psychologen das erforderliche Know-how, um die Effektivität und Nützlichkeit von Wellnessangeboten zu messen. Elisabeth Honemann etwa gibt zu bedenken, dass die Gesundheitspsychologie bereits mit Fragebögen arbeitet, die zum Beispiel folgende Wellness-relevante Effekte zuverlässig erfassen:

  • körperliche / seelische Erholung
  • gute / schlechte Stimmung
  • Übermüdung / Energielosigkeit
  • innere Ruhe / Unruhe
  • Sinnerfülltheit / Depressivität
  • allgemeines Wohlbefinden.

Das Instrumentarium wäre also vorhanden, um in wissenschaftlichen Studien herauszufinden, wie gut das Geld bei welcher Wellness-Kur angelegt ist. Forschungsprojekte könnten nicht nur bei der Optimierung von Wellness-Konzepten helfen und den individuellen Bedarf der gestressten Kunden ermitteln, sondern sie auch dabei unterstützen, das Erlernte im Alltag umzusetzen. So könnte Wellness eines Tages tatsächlich zu einem Lebenselixier werden, das die hohen Ansprüche an seelische Veränderungen erfüllen kann. - Damit fiele in Zukunft dann vielleicht auch die Entscheidung zwischen Bikram, Tuina und Pizzichilli leichter.

 

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